Sommer in Ephesos
Verwitterndes, Gräser in den Häusern und Triebe von Feigenbäumen und Vogelmist, Katzenmist, Mäusemist, die Spinnweben in den Ecken und wie die Feuchtigkeit den Putz an den Wänden mürbe macht, und die Schlupfwespen bohren Löcher in die Ritzen zwischen den Steinen, was die Zeit macht, Verfall im Verfallenen.
Jeden Morgen, eine Woche lang, bin ich im Jeep mit Jan vom Grabungshaus nach Ephesos gefahren, die Fenster waren offen und ich streckte meine Hand in den Fahrtwind. Bei einer Restaurantanlage, rote Plastiksessel, rote Plastiktische, darunter liegt ein Teil der Stadt, hat Jan gesagt, bogen wir von der Schnellstraße ab, »Efes« stand weiß auf grün auf Hinweistafeln und die Blätter der Pfirsichbäume glänzten in der Morgensonne. Ich hielt Ausschau nach den Hügeln links und rechts der Straße, unter denen Tempel lagen, das weiß keiner, dachte ich, der hier vorbeifährt.
Beim Grabungsgelände angekommen stieg ich aus, ich schob das eiserne Gatter auf, schloss es wieder, die Sonne war schon warm, aber in den Schatten war es kühl. Wir rumpelten vorbei an den Thermen, die Wildnis, die dort war. Streunende Hunde begleiteten uns, ein Esel querte den Weg. Wenn wir jemanden beim Theater absetzten, bogen wir in die Arkadiane ein. Jan grinste, weil er meine Verzückung sah, mit einem Jeep über marmorne Straßen fahren. Das Theater lag grau und groß, wie in einem Schatten, Jan hupte. Ich winkte dem Team zu, das im Morgenlicht stand, der Vater hob die Hand, wir fuhren über eine rumpelige staubige Straße zum Parkplatz hinter den Hanghäusern. Ich schnaufte vor Begeisterung, als ich ausstieg und die Stadt unter mir lag.
Hanghaus 2, Wohneinheit 7, da haben wir mit der Vermessung begonnen. Wir kletterten über die Touristenabsperrung und stiegen eine steile Holztreppe hinunter, tauchten in ein mürbes Licht, die Steine und Wände schimmerten sanft. Auf dem Marmortisch, der in der Mitte des Hauptraumes stand, die eingeritzten Spielfelder entzückten mich, breiteten wir unsere Sachen aus, die Wasserflaschen, meine Fototasche, Jans Arbeitstasche, einen Notizblock, sein Feuerzeug, seine Zigaretten, Unordnung am heiligen Ort, so war das, Leben in vergangenen Räumen.
Grundlagen der Vermessung, sagte Jan, Punkte im Raum, und zeichnete mir auf einem Zettel die x- und y-Achse auf, andersrum, sagte er, weil. Situierung im Raum, sagte er, das größere Bezugssystem, Zuordnung von Vermessungspunkten. Polarmessung, Winkel und Weg, Sinus und Cosinus, der Tachymeter, sagte Jan, macht das für uns. Erdkrümmung und Schwerkraft und Abweichungen, mir schwirrte der Kopf, Lesarten von Räumen und Zeiten. Dass sich die Vermessung in der Zeit abspielte, in der Zeit und im Raum, wie ein Strahl ausgeschickt wurde, und die Zeit, die er brauchte, um zurückzukehren, und aber, dachte ich, der Strahl geht ja viel weiter zurück in der Zeit, als wäre ich ganz nah an einem Geheimnis, so war das immer in der Woche mit Jan. Unschärfekonstanten, notierte ich mir am Abend, Unschärfeparameter, Punktwolke.
Bereit?, fragte Jan schließlich, ich nickte. Sündteures Gerät, sagte er noch einmal, als er mir erklärte, wie ich den Tachymeter bedienen sollte. Anfangs brauchte ich noch den Laserstrahl, um die Vermessungspunkte, Klebemarken mit schwarzen Kreuzen auf weißem Grund, die waren schon an den Wänden, um diese Punkte anzupeilen, aber nachdem wir ein paar Stunden gearbeitet hatten, schien es mir, als würden mir die Punkte zufliegen, du bist schnell, sagte Jan, du machst das gut.
Den Punkt fixieren, scharf stellen, den Punkt ins Kreuz einpassen, abdrücken, schwarze Kreuze auf weißem Grund. Manchmal stellte ich um auf Zweifachmessung, dann peilte ich zuerst die Mitte von Jans Daumen an, dann den Kreuzmittelpunkt, das Gelb und das Rot der Wände, stierblutrot. Zu einer bestimmten Zeit, am frühen Nachmittag, legte sich manchmal wie ein Schleier die Luftfeuchtigkeit über die Wände. Ich konnte die Punkte, die Kreuze auf den Klebemarken nicht mehr sehen, warte, sagte ich, die Wände verschwammen mir im Blick durch den Tachymeter. Von unscharf auf scharf stellen, aus dem Grau, dem schlierigen Weiß, einem körnigen Grün leuchtete das Blau von Jans Hemd, sein Unterarm, ich wusste wieder, wo ich war.
Einmal, Jan stand in einer Nische, um mir den nächsten Punkt anzuzeigen, habe ich ihn verloren, auf der großen Fläche, die die Nische war, wenn ich sie mir durch den Tachymeter heranzog, ich habe ihn verloren und nicht wiedergefunden. Ich
Weitere Kostenlose Bücher