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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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Furchtbare?
    Die Etymologie des Wortes »Hades«, sagt mein Vater, die Lehre von der Herkunft des Wortes, er wiederholt noch einmal, E-ty-mo-lo-gie, die Herkunft des Wortes ist unklar. Man nimmt an, dass der Name auf eine Wurzel mit der Bedeutung »unsichtbar« zurückgeht, er wäre also der Unsichtbare oder der unsichtbar Machende, und das ist so, der Tod macht die Toten für die Lebenden unsichtbar. Aber vielleicht, sagt er, und jetzt lächelt er wieder, vielleicht sind wir zwar unsichtbar, aber immer noch da.
    Wenn du einmal, sage ich, aber da schnappt mich meine Mutter, was du dem Kind wieder erzählst, Himmel und Hölle. Das hat nichts mit Himmel und Hölle zu tun, sagt mein Vater verärgert, Zeit fürs Zähneputzen, sagt die Mutter und zieht mich ins Badezimmer.
    Bist du, denke ich, und der Regen schlägt mir ins Gesicht, bist du dort, hast du ihn gesehen, den Unerbittlichen, bist du unsichtbar jetzt, wo bist du? Würdest du denn, denke ich, bei mir sein wollen?

    Es war heiß und windig, als ich in Izmir ankam. Mein Vater redete zu viel und zu fröhlich, schön, dass es endlich einmal geklappt hat, sagte er, als hätten wir es seit Jahren versucht.
    Deine Mutter sagt, du sollst dich bei ihr melden. Ich hasste ihn, wenn er sagte, deine Mutter hat, deine Mutter ist, wie geht es deiner Mutter.
    Wozu, fragte ich, was will sie von mir?
    Wissen, wie es dir geht, der Vater runzelte die Stirn. Wie es mit der Matura war.
    Sie weiß genau, wie es mir geht, sie soll nicht so tun. Und du hast es ihr gesagt, nehme ich an, wie es war mit der Matura, also weiß sie ja alles, was es zu wissen gibt.
    Ich starrte, fest entschlossen, nichts zu sehen, blicklos aus dem Autofenster, Landschaft, Dörfer, kleine Städte, grüne Ebenen mit Bergen dahinter, Berge, dachte ich, Dörfer, was tu ich hier? Esel, die Lasten trugen, ich sollte in Seattle sein oder in Detroit, in Chicago, ich sollte zwischen Wolkenkratzern sein, zwischen Glastürmen und Stahlbetonbauten, sie hatte es mir versprochen. Vagabundieren, hatte sie gesagt, du und ich, kreuz und quer durch Amerika. Die Amerikaner, die mir meine Mutter vorgestellt hatte, waren fröhliche, laute, neugierige Menschen gewesen. Meine Mutter entspannte sich in ihrer Gegenwart, das mochte ich, als müsste sie sich nicht anstrengen, ich bin im falschen Land geboren, hatte sie einmal gesagt, wieso bin ich in einem so alten Land geboren?
    Dass du nicht im Grabungshaus wohnen kannst, sagte mein Vater, hat dir das deine Mutter gesagt?
    Ich zuckte die Schultern.
    Du musst auf der Liste sein, wenn du ins Grabungshaus willst, das ist kein Hotel, das ist ein Arbeitsbereich, dazu brauchst du ein entsprechendes Visum. Der Kommissar muss Bescheid wissen, die türkischen Behörden verlangen diese Liste im Herbst, ich möchte da auch keine Ausnahmegenehmigungen, verstehst du das?
    Er sah mich von der Seite an, ich starrte aus dem Fenster.
    Du wohnst im Hotel, das ist nur fünf Minuten vom Grabungshaus entfernt, es gibt einen kleinen Pool, du wirst dich dort wohlfühlen, du wirst sehen.
    Wir fuhren durch ein Dorf, Minarette, der Vater, erinnerte ich mich, hatte mir, wenn er aus Ephesos zurückkam, vorgesungen, wie die Arbeiter, wie die Muezzins sangen, etwas pochte mir in den Schläfen.
    Das macht dir doch nichts?, fragte mein Vater. Ich bin nicht weit weg und du kannst jederzeit ins Grabungshaus kommen. Du kannst dort essen, du kannst tagsüber dort sein, du kannst mit uns nach Ephesos fahren, das ist alles mit dem Kommissar abgesprochen, er drückt ein Auge zu, aber übernachten, das geht nicht. Es wäre auch gar kein Platz, das kannst du dir ja vorstellen, wir sind die meiste Zeit ziemlich voll, das macht dir doch nichts?
    Ich bin achtzehn, sagte ich jetzt doch, ich bin kein Baby mehr.
    Du bist schon achtzehn?, fragte mein Vater, ich hätte geschworen, du bist siebzehn.
    In vier Wochen werde ich achtzehn, das ist ja jetzt wirklich schon gleichgültig. In Wien fragt mich kein Mensch, ob es mir etwas ausmacht, wenn ich wochenlang alleine bin, also was soll das jetzt?
    Mein Vater holte Luft, sagte aber nichts. Wir fuhren weiter auf Berge zu, die sich am Horizont erhoben, das sind Pfirsichplantagen, sagte der Vater und deutete nach links und nach rechts, hast du schon einmal Pfirsichbäume gesehen? Die brauchen viel Wasser, sagte er, früher haben sie hier auch noch Olivenbäume gehabt, Feigen, aber Pfirsiche bringen mehr. Allerdings geht das auf den Grundwasserspiegel, und wenn sie weiter das ganze Land in

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