Sommer in Ephesos
Kultbild, das war vom jahrhundertelangen Ölen ganz schwarz geworden, verbrennen lassen.
Er hat die Göttin verbrennen lassen?, fragte ich ungläubig. Wieso haben sie die Göttin nicht gemocht?, der Vater wiegte den Kopf.
Ganz ohne sie ging es ja dann doch nicht, sagte er, vielleicht hat sie ja auf eine Art überlebt.
Draußen fiel ein kalter Regen und ein scharfer Wind trieb tief unter uns ein Grüppchen Studenten über den Platz vor dem Institut. Vielleicht schneit es morgen, dachte ich. Bald war Weihnachten, dass es schneien sollte, dachte ich.
Es ist kein Zufall, sagte der Vater, dass Maria gerade in Ephesos von der Christusgebärerin zur Gottesgebärerin aufgestiegen ist. Aha, sagte ich, der Vater lächelte. Er strich über das Bild der Artemis, das vor ihm auf dem Tisch lag. Die weiße Göttin, sagte er, aber das alte Kultbild war schwarz.
Weißt du denn nicht, was zwischen deinem Vater und Hubert gewesen ist?, hatte Jan gesagt. Da war mir wieder eingefallen, wann ich Hubert das letzte Mal gesehen hatte.
Der Vater war bleich gewesen, tagelang. Die Mutter ging ihm aus dem Weg, wenn ich sie fragte, verdrehte sie die Augen. Der Vater hatte sich in der Bibliothek verkrochen, wenn er zum Essen kam, war er unnahbar. Verräter, sagte er, eine Schlange am Busen genährt, mir meine Themen stehlen. Wer?, hatte ich gefragt, er hatte nur geschnaubt.
Hubert war ins Haus gegangen. Sein Gang war leicht gewesen, er war über die Stufen gesprungen, sie sind wieder gut, hatte ich gedacht. Aber dann hörte ich die Stimme des Vaters aus der Bibliothek, scharf, und Huberts Stimme war wie zerbrochen. Er war aus dem Haus gestürmt, ich war ihm nachgelaufen. Hubert, hatte ich gerufen, sehen wir uns im Herbst? Ich hatte Hubert nie zornig gesehen, ich fürchtete mich vor ihm. Im Herbst also, sagte ich noch einmal.
Ich glaube nicht, sagte er und ging. Aber dann kam er zurück, er beugte sich zu mir, wieder sah ich, von ganz nah, in seine Augen. Ich weiß es nicht, Ana. Er legte mir seine Hand auf die Wange und zog sie schnell zurück. Das habe ich als Versprechen genommen. Er ist gegangen und ich habe ihn nicht mehr wiedergesehen, bis ich in einer hellen Nacht mit meiner wilden Freude auf ihn zugelaufen bin.
Seit Friedrich weiß, dass mein Vater tot ist, ruft er mich täglich an, mehrmals, lass es, Friedrich, sage ich. Ich bin nicht krank, sage ich. Mein Vater ist gestorben, das ist ein wenig anstrengend, aber ich habe es dir gesagt, wir haben uns doch gar nicht mehr gekannt. Und ich muss wirklich, ich muss noch arbeiten, ich komme ja zu nichts vor lauter Begräbnisdenken. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit. Hör auf mich zu fragen, sage ich, es geht mir gut, ich habe nur viel zu tun. Nein, sage ich, heute nicht, nicht diese Woche, nach dem Begräbnis irgendwann. Ich ruf dich an, sage ich und lege auf.
Wegen seiner Dissertation, fragte ich Jan erstaunt, deswegen reden sie nicht mehr miteinander?
Es ist ein wenig komplizierter, sagte Jan, und es ist mehr, als dass sie nicht mehr miteinander reden.
Aber sie haben so gerne miteinander geredet, rief ich. Mein Vater hat sich immer so gefreut, wenn Hubert gekommen ist, richtig gefreut, weißt du.
Jan hatte mich aus dem Hof weggezogen. Wir saßen auf dem Mäuerchen vor dem Büro, hinter uns brannte eine schwache Glühbirne, Blüten fielen in orangen Sturzbächen über dunkel glänzendes Grün.
Ich weiß, sagte Jan. Dass dein Vater und Hubert über Jahre ein Gespann waren, das wissen alle hier. Der Professor und sein begabter Student. Hubert war noch im ersten Studienabschnitt, da hat ihn dein Vater schon mit Aufgaben betraut, über die du als fertiger Akademiker froh bist. Er hat deinem Vater bei seinen Forschungen zugearbeitet, er hatte Zugang zu allen Depots, Archiven und natürlich zum Büro deines Vaters. Bei Ausgrabungen, die dein Vater geleitet hat, hat er wichtige Funktionen übernommen, du kannst dir vorstellen, dass das viel böses Blut gemacht hat. Dein Vater hat ihn gegen alle Angriffe verteidigt. Ein Glücksgriff, hat er mehr als einmal gesagt, für das Institut, für die Archäologie.
Es gibt Menschen, sagte Jan, denen verzeihst du ihren Erfolg, die sind von einer Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit, dass man sich mit ihnen freuen muss, wenn sie Erfolg haben. Aber Hubert war, damals jedenfalls, kein einfacher Mensch.
Nein?, fragte ich.
Ich habe ihn bei seiner ersten Ausgrabung in Kärnten kennengelernt. Er war keine zwanzig, ehrgeizig, das habe ich gesehen,
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