Sommer in Ephesos
mit unserem Projekt, Bürotürme aus Stahl und Glas, nicht weitergekommen. Als läge es schon hinter mir, so denke ich daran, als wäre es abgetan und nicht mehr meins. Wenn ich nach Hause komme, setze ich mich an den Schreibtisch, um zu arbeiten. Aber immer wieder gebe ich in die Suchmaschine »Ephesos« ein, »Artemis«, »Artemision«, »Österreichisches Archäologisches Institut«. Ich klicke mich durch die Seiten, ich verirre mich zu Riten und Mysterien, Fruchtbarkeitsgöttinnen, ich gebe Namen ein, die ich von damals noch weiß. Ich verliere mich in Aufsätzen über ephesische Bauforschung, Spuren meines Vaters im virtuellen Raum. Langjähriger Grabungsleiter, lese ich, Universitätsprofessor, Leiter der Forschungsstelle Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Direktor des Instituts für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW, Direktor des Österreichischen Archäologischen Instituts, Ehrenkreuz und Ehrendoktorat, kein gleichgültiges Leben, das nicht.
Endlich, weit nach Mitternacht, beuge ich mich über meine Skizzen, zwinge mich, bis mir die Zahlen und Zeichnungen vor den Augen verschwimmen, und als es dämmert, mich fröstelt, so grau ist der Morgen, habe ich fast vergessen, dass mein Vater tot ist.
Ich war mit Martin in den Hügeln. Dort waren Vögel in der Luft, Wolken von blauen Vögeln, die warfen sich aus der Schwärze einer Schlucht wie jubelnd in den Äther. Kleine Tiere waren da, Eidechsen, die huschten in die Ritzen und über die Steine, die hielten ihre Köpfe in die Sonne und starrten, wimpernlos, ins Licht, das in den Hügeln golden war, auch am Mittag, und grün. Da waren Schlangen, Erdtier, Höhlentier, vertrieben, sagte Martin, von einem patriarchalen Gott, die flohen vor unseren Schritten. Einmal hat mich eine angesehen, goldgefleckte Augen, oder habe ich das geträumt.
In den Hügeln ließ ich die Stadt hinter mir, ihre Steinschluchten, ihre Plätze, ihre Tempel. Manchmal wehte der Ruf des Muezzins, eine Klage, über die Hügel. Eine Linie im Gras, eine Linie am Horizont, das blieb von der Stadt. Wenn ein Wind ging, wogte das Gras in Wellen.
Die Mauern, sagte Martin, machen erst die Stadt. Eine Mauer setzen, eine Grenze ziehen, nur da, wo nicht Wildnis ist, da ist der Mensch mehr als nur ein jagendes Tier. Er lächelte, wie um sich zu entschuldigen. Was in der Wildnis wohnt, sagte er, muss uns eine entsetzliche Angst gemacht haben. Warum sonst hätten wir so viele Anstrengungen unternommen, sie zu überwinden?
Eigentlich beginnen wir ja mit der Vertreibung aus einem Garten, sagte er. Aus dem Garten, wo der Löwe neben dem Lamm liegt, sind wir vertrieben worden in ein ödes finsteres Land, in dem der Tod wohnt. Seitdem suchen wir den Garten und was er verspricht. Die ersten großen Städte, Ur, Uruk, Babylon, Ninive, das Paradies war dort, weißt du das? Und die großen Städte sind die Antwort darauf.
Es gibt aber keinen Schutz hier, sagte er ein anderes Mal, zu mir oder nicht zu mir. Etwas brannte in seinen Augen. Nichts von dem, was wir bauen, Mauern und Wälle und Türme, kann uns schützen. Sein Blick suchte die Verlängerung der Mauerlinie auf dem nackten Stein. Er wies auf die Abarbeitungen am Felsen hin, das war geblieben vom mächtigen Wall. Es gibt keinen Schutz, sagte er.
Am späten Nachmittag trafen wir uns mit den anderen, mit Werner, der vom Bülbüldag herunterkam, mit Sophia und Ingrid, die den Mauerverlauf zum koressischen Viertel hinunter suchten.
Es stellt sich natürlich die Frage, sagte Sophia und funkelte Werner an, ob der Koressos zum Hinterland der lysimachischen Stadt oder zu den innerstädtischen Bezirken gerechnet wurde.
Werner nickte, natürlich, sagte er, aber, ist das unsere Fragestellung? Das ist eine Diskussion, die in der Hauptsache auf literarischen Quellen beruht, es ist nichts wirklich Neues dazugekommen.
Eben, sagte Ingrid, wenn wir, sagte sie, das Koressische Tor lokalisieren könnten.
Habt ihr Hinweise im Gelände gefunden, habt ihr Ansatzpunkte für eine Sondage?
Nein, sagte Sophia, noch nicht, aber du wirst schon sehen.
Wie wollt ihr, fragte ich Martin, das zu viert untersuchen? Die Mauer ist mindestens neun Kilometer lang, steht in meinem Führer, innen und außen das Doppelte, wie wollt ihr das zu viert untersuchen?
Martin lachte, ich mochte es, wenn er lachte. Zu fünft, sagte er, mit dir sind wir fünf.
Wir sind nur der Vortrupp, sagte Werner. Nächste Woche kommt ein Schwung Archäologen, Architekten,
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