Sommer in Ephesos
Vater und mir.
Ich war zu jung, hat sie gesagt, er war zu alt. Ich war zwanzig, als ich Richard geheiratet habe. Richard ist, wenn ich in Wien getanzt habe, in jede meiner Vorstellungen gegangen, er hat mir Blumen geschickt, nach jeder Vorstellung, kleine Aufmerksamkeiten. Ich habe das so geliebt, dann habe ich dich bekommen, das war das Ende.
Ich war wie tot, hat die Mutter gesagt, und als ich endlich wieder ich war, da waren wir uns schon fremd und ich war nicht mehr dieselbe. Was sollte er mit mir, was sollte ich mit ihm? Seine Steine. Mein Tanz.
Er hat mich so beeindruckt, dein Vater, hat die Mutter gesagt. Er war so ernst, das hat mir gefallen, dass mich so ein ernster Mensch ernst nimmt. Der Archäologe und die Tänzerin, als könnten sich Gegensätze aufheben. Aber das war ein Irrtum, das war das Unglück mit deinem Vater und mir.
Weil er mich unbedingt gewollt hat, hat die Mutter gesagt. Er hat aber nicht verstanden, was mir das Tanzen ist. Du wirst ja, hat er gesagt, als ich schwanger war, das Tanzen jetzt einschränken. Nein, habe ich gesagt. Und wenn das Kind da ist, machst du doch erst einmal eine Pause? Nein, habe ich gesagt, und ich hätte es auch nicht getan, aber weil du zu früh gekommen wärst, viel zu früh, musste ich dann liegen. Die letzten zwei Monate bin ich gelegen, eine Tortur, das weißt du ja nicht, eine Qual. Dein Vater war in Ephesos, natürlich, und ich musste liegen. Dann haben sie mich endlich erlöst, dann warst du endlich so weit. Dass ich wieder tanzen kann, das war das Einzige, was ich gedacht habe, als du endlich da warst. Aber mein Körper hat mich im Stich gelassen und es hat Jahre gedauert, bis ich wieder tanzen konnte.
Dich, hat die Mutter manchmal gesagt, dich hat Richard ernst genommen, mit dir hat er geredet wie mit einer Erwachsenen, ich war für ihn nur noch die Kranke. Das stimmt nicht, sagte ich, doch, sagte die Mutter. Ich war eine Verrücktheit für deinen Vater, als er mich geheiratet hat, eine Verrücktheit, die er bereut hat. Das glaube ich nicht, sagte ich, doch, sagte die Mutter, und ich war ja dann tatsächlich wie verrückt.
Wie ich es gehasst habe, dass sein Ephesos wichtiger war als mein Tanzen. Das ist kein Tanz, was du da machst, hat er am Schluss gesagt. Er hat es nicht verstanden, es hat ihn, sagte die Mutter, verstört, wie konnte ich da bei ihm bleiben.
Der Vater hat schöne Frauen gemocht. Ilse war eine schöne Frau. Anders als meine Mutter, von einer anderen Schönheit. Bis dann passiert ist, weswegen sie den Vater nicht mehr lieben konnte.
Freund und Mentor, steht im Nachruf des ÖAI, Weggefährte. Ein Verlust für die Fachwelt, ein Verlust für das Institut, ein Verlust für seine Freunde. Bestürzung und Trauer über die Nachricht seines Todes. Die Lücke, die er hinterlässt, als Kollege und als Mensch. Du fehlst, steht da. Das Mitgefühl, das seiner Familie gilt. Seine Familie, denke ich, das bin ja wohl ich, in erster Linie.
Weil ich sehr müde bin, bin ich unvorsichtig, klicke auf »Artemis Ephesia«. Vier Statuen erscheinen auf dem Bildschirm, ich bin zu müde, mich zu wehren, die Große, die Kleine, die Schöne, die Rätselhafte Artemis.
Ihr Bild, sagte der Vater, ist vom Himmel gefallen.
Ich war am Institut, ich hatte Hubert einen Kuchen mitgebracht, den ich mit der Vroni gemacht hatte. Meinst du, mag er den Kuchen?, fragte ich den Vater, ich glaube schon, hatte er gesagt, wir müssen den Buben ein wenig auffüttern. Mein Lieblingskuchen, hatte Hubert gesagt, und ich war rot geworden vor Freude.
Die Artemis von Ephesos, sagte der Vater, hat mehr als ein Jahrtausend lang die Stadt und ihre Bewohner beschützt. Der Vorstoß einer Horde seefahrender Goten im 3. Jahrhundert hat sie geschwächt, das Artemision wurde geplündert, wieder wurde Feuer gelegt. Die Schäden wurden zwar nach dem Abzug der Barbaren behoben, aber ihr Ansehen hatte schwer gelitten. Wenn Artemis ihr eigenes Haus nicht schützen konnte, sagte der Vater, wie konnte sie noch länger Beschützerin der Stadt sein?
Und dann haben sie die Göttin begraben?
Noch nicht, sagte der Vater. Aber schließlich ist auch Ephesos eine christliche Stadt geworden. Eine Zeit lang, sagte der Vater, hielt sich noch der alte Glaube, aber als das Christentum Reichsreligion wurde, Theodosius, sagte ich, der Vater nickte, unter Theodosius ist das Heidentum gewissermaßen amtlich gestorben.
Und Artemis?
Im Jahr 406, sagte der Vater, hat der Bischof Chrysostomos das altehrwürdige
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