Sommer in Lesmona
liebe. Im Herbst werde ich Dich und John mit einem Walzer von Chopin
überraschen, und es werden Euch die Sinne dabei vergehen wie beim «Letzten
Walzer eines Wahnsinnigen», den ich mit so viel Bravour über Euch wegrauschen
ließ.
Kürzlich war ich mit den Eltern auf dem
Riensberg, und ich wurde schrecklich bedrückt durch alle die Gräber. Das
Mausoleum liegt so schön und friedlich am See, und Papa und Onkel Herbert sagen
immer, daß ihre Eltern keine schönere Ruhestätte haben könnten. Dann denke ich
jedesmal, daß sie ja nichts davon merken, denn sie liegen ja tief unten in der
kalten schwarzen Gruft. Das graust mich so sehr. Die Großeltern hatten ein so
glückliches Leben in ihrem schönen Haus und in Lesmona, und nun müssen sie mit
anderen Toten da unten vermodern. Auf dem Rückweg zwischen den anderen Gräbern
merkte Mama, daß ich sehr bedrückt war, und sie sagte, daß dieses, was hier von
den Toten läge, doch nur ihre irdische Hülle wäre und daß ihre Seelen bei Gott
weiterlebten. Sie sagte es viel besser, als ich es jetzt sagen kann. Dann nahm
sie meinen Arm und sagte, ich wäre so sensitiv, und Du und ich hätten schon
früher über so vieles nachgedacht, was anderen Mädchen gar nicht in den Sinn
käme. Das hätte Pastor Portig auch gesagt. Weißt Du, ich glaube auch, daß
unsere Seelen weiterleben, aber an eine Auferstehung im Fleische glaube ich
nicht, obwohl es in der Bibel steht. Aber die Bibel ist ja auch nur von
Menschen geschrieben. Wir fuhren nachher noch weiter und blieben zum Tee bei
Fritzes in der Vahr, wo es ja immer besonders schön ist. Jetzt sitze ich am
offenen Fenster, und Du weißt genau meinen Platz am Schreibtisch und denkst an
die Akazie vor meinem Fenster, die aber nicht mehr blüht.
Nun kommt Deine Frage, ob ich viel an
Percy denke und ob ich sehr dabei leide. Ich habe die roten Rosenblätter von
dem Strauß nach dem Rennen aus Lesmona wieder hierher zurückgebracht, und sie
liegen in dem kleinen Schubfach links vom Schreibtisch mit den paar Briefen,
die er mir nach seiner Abreise schrieb. Wenn ich sie lese und die Rosenblätter
küsse, tut es sehr weh, und ich kann es nicht ertragen, sie sehr oft
anzusehen. Daß ich nichts von ihm höre, ist ja nur gut, weil alles so
eher zur Ruhe kommt. Da es ja doch nicht sein kann, so ist dies der einzig
mögliche Weg zum Vergessen, denn bei jeder Nachricht von ihm würden Liebe und
Schmerzen wieder aufleben. Max Georgi ist noch in London, und das ist gut für
Percy. Die fünf Jahre würden so schwer auf mir gelastet haben, daß vielleicht
allein dieser Zwang das Beste und das Freiwillige getötet hätte. Wie kann man
so lange Jahre mit Angst eine Liebe hüten?
Hier habe ich nun täglich Georg und
Elly vor Augen, die allerdings jetzt sehr glücklich sind, aber ich weiß zu viel
von den fünf Jahren, die sie warten mußten.
18. August
Gestern mußte ich aufhören, weil
Wilhelm heraufkam und mich fragte, ob ich nicht doch mit den Eltern nach
Oslebshausen zu Finkes fahren wollte, wozu ich mittags keine große Lust gehabt
hatte, weil ich Dir schreiben wollte. Zwei Minuten, ehe Wilhelm kam, pfiff es
unten auf der Contrescarpe, und Heini rief herauf, ob wir ihn nicht im Wagen
mit hinausnehmen wollten. Da bin ich mitgefahren, und es war reizend. Das
Landhaus ist so behaglich, der Blick über den kleinen Fluß und das flache Land
so friedlich und Heini wie immer witzig und freundschaftlich. Walter Dyes war
auch mit draußen, und mit ihm kann es ja nur nett und lustig sein.
Bertha, nun muß ich Dir noch etwas
erzählen, was ich bis zuletzt aufgeschoben habe, weil es mir lästig ist und
peinlich. Ich will es Dir genau erzählen. Letzte Woche war eine
Sommergesellschaft bei Avy in der Vahr. Im letzten Winter hatte dieser
Friedrich Bach auf dem Costumefest bei Fräulein Aline v. K. mir sehr den Hof
gemacht, was mir gänzlich gleichgültig war, denn ich amüsierte mich da gerade
sehr gut mit Leutnant v. T. Also der Friedrich Bach war bei Avy, und wir gingen
alle im Garten spazieren und dann herüber auf die Allee von Fritzes. Viele
andere gingen mit uns. Man kann da ja fast bis Oberneuland weitergehen. Diese
Allee ist traumhaft, und die Sonne leuchtete durch das Laub der Bäume, und es
sah ganz goldgrün aus. Ich fühlte wieder diese Lust zu leben, die mir doch in
der letzten Zeit in Gedanken an Percy entschwunden war. Der Bach erzählte aus
Dresden, wo ich doch schon als Kind so oft bei den Großeltern gewesen war. Das
einzige aber,
Weitere Kostenlose Bücher