Sommer in Lesmona
was mich wirklich interessierte, war seine Mitteilung, daß Dr.
Retberg sehr gut mit seinem Bruder und mit seiner ganzen Familie befreundet
und, während er dort diente, viele Sonntage bei ihnen gewesen sei. Von Flirt
war gar keine Rede. Ich päppelte dauernd mit den anderen Freunden und
Mädchen vor mir und’ hinter mir. Einige Tage später läßt er durch Wilhelm A.
(Osterdeich), Vetter von Elly, meinen Bruder Georg fragen, ob er wohl Hoffnung
bei mir hätte. Georg erzählte es sofort bei Tisch, und er gröbste mich sehr an
und sagte, ich wäre kokett und hätte ihm den Kopf verdreht etc. Papa merkte, daß
ich gewiß und wahrhaftig ein reines Gewissen hatte, — außerdem ärgerte ihn die
Art, mit der Georg mich behandelte. Mama sagte: «Der Bach — die Bäche Miecke,
wir wollen ein Album anlegen mit all deinen Verehrern.» Als ich es nachher
Linsche erzählte, sagte sie: «Der dumme Mensch, der müßte doch merken, daß Du
ihn nicht liebst. Heißt er eigentlich Bach oder Teich oder Tümpel, ich kann den
Namen nicht behalten. Nee, nee, der weiß nicht, wie du bist, wenn du liebst!
Ich kann dir immer noch die Küsse ansehn, die der Engländer dir verpaßt hat — du
bist seitdem doch verändert.» Plötzlich kam sie und sagte: «Meine süße Deern,
oft habe ich so große Angst um dich, wenn das man gut ausgeht.» Mama lag einen
Tag im Bett mit Schmerzen an der Narbe von ihrer Nierenoperation, und ich saß
abends bei ihr. Wir sprachen von Kreuth und von allem Schönen dort, und wir
hatten große Sehnsucht nach den Bergen. Darauf sagte sie: «Miecke, mit dir ist
irgendwas los, ich weiß nicht, was es ist — sage es mir doch.» Ich antwortete:
«Herr Bach hat es mir sicher angetan mit seiner Stupsnase.» Darüber mußten wir
beide furchtbar lachen. Nachher sagte sie aber so ganz gedankenvoll und
sinnend: «Ja — alle die Bäche, die schon durch dein junges Leben gerauscht sind
und die du weiterschicktest, weil sie nicht dein Schicksal waren. Ich habe nur
den einen heißen Wunsch, daß dein Leben in einem schönen, stillen See münden
möchte — aber Gottseidank hast du ja noch lange Zeit damit.» Da kniete ich
wieder wie früher vor ihrem Bett, legte den Arm unter ihr Kopfkissen, und
plötzlich mußten wir beide weinen. Sie sagte dann: «Bleibe nur ganz so, wie du
bist.» O Bertha, als sie mich dann küßte, dachte ich mit schlechtem Gewissen an
Percys Küsse! —
Die Eltern waren zweimal in Lesmona,
aber ich finde immer eine Ausrede, ich kann das alles noch nicht wiedersehen.
In inniger Liebe
Deine Matti
Bremen, den 25. Juli 94
Liebste einzige Bertha!
Ganz außer mir muß ich Dir folgendes
erzählen: Heute gehe ich über die Contrescarpe, da treffe ich vor Wagenföhr — Dr.
Retberg. Er blieb gleich stehen, und ich fragte, weshalb er denn nicht nach
Florenz gekommen wäre. Da sagte er: «Das habe ich doch alles an Rena
geschrieben, und sie sollte es Ihnen sofort weiterschreiben, ich hatte doch
Influenza in Leysin und wagte es nicht, Ihnen zu schreiben, weil Ihr Vater dann
geglaubt hätte, daß ich wieder lungenkrank wäre.» Ich antwortete: «Rena hat mir
kein Wort geschrieben, und nachher hat sie nur gesagt, Sie wären erkältet.» Er
war darüber ganz erregt und sagte, das wäre von Rena sehr unrecht. Wir standen
da ca. zehn Minuten, er zeigte mir meine Fotos, die ich ihm im Winter nach der
Aufführung geschenkt hatte. Er trug sie im Portefeuille. Wieder fühlte ich
diese enorme Anziehungskraft, die von ihm ausging. Es ist fast wie ein
Zwang. Er ist zehn Jahre älter als ich und dirigiert mich irgendwie. Jetzt
tritt er in Dresden seine neue Anstellung an, und dann fragte er: «Wann ist
denn die Nachtmusik für Elly und Ihren Bruder in Horn, dafür will ich nämlich
nach Bremen kommen, und da will ich Sie wiedersehen.» Ich sagte: «Ende
September», und dann trennten wir uns. Er ging zur Stadt, und ich dachte: «Ob
er jetzt wohl die Französin besucht?» Jetzt tobt alles in mir durcheinander.
Liebste Bertha, kann ich nicht vor der
Nachtmusik zu Euch nach Darneelen kommen? Sonst passiert ganz sicher was, ich
fühle es, es ist ein Zwang. Schreibe mir sofort, ob es Euch paßt.
In Liebe und großer Angst
Deine Matti
Bremen, August 94
Liebe einzige Bertha!
Inzwischen war ich mm drei Tage in Oberneuland
bei Quentells. Susi und Anna holten mich von der Bahn und sahen in Hellblau und
Rosa ganz bezaubernd aus. Schönere Schwestern kann es auf der Welt nicht geben.
Susi hat sich nun mit
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