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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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merkte sich das Gefühl und den Anblick im Spiegel, dann ging sie zu Marshalls und kaufte ein ähnliches Produkt von einer Billigmarke. Ihrem Adlerauge entging kein Niedrigpreis beim Schlussverkauf, und morgens schnitt sie Gutscheine aus der Zeitung und informierte Ann Marie telefonisch über die besten Angebote.
    Trotzdem war es gar nicht so einfach, mit ihrem Geld zu haushalten, schließlich stand ihr nur ihre und Daniels Rente zur Verfügung. Vor ein paar Jahren hatte Patrick sich ihre Steuererklärung angesehen, die Stirn in Falten gelegt und gesagt: »Du gibst mehr aus, als du reinbekommst. Das musst du umdrehen, und zwar pronto.«
    Ihr erster Gedanke war gewesen, das Grundstück in Maine zu verkaufen. Das hatte sie selbst überrascht, aber so war es.
    An dem großen Neubau hing Alice nicht besonders, dafür umso mehr an dem kleinen Sommerhaus, das voller vertrauter Details war und wo in jeder Kommode und unter jedem Bett Geschichten aus ihrer Vergangenheit schlummerten. Auf dem Rahmen der Küchentür waren unzählige Daten und Initialen verzeichnet, anhand derer sie über die Jahre hinweg das Wachstum ihrer Kinder, Enkel, Nichten und Neffen verfolgt hatten. Hier hatte Clare laufen gelernt und Patrick sich eines Sommers beim waghalsigen Supermanflug vom Verandadach den Arm gebrochen. Hier waren ihre Enkel das erste Mal mit Sand in Berührung gekommen und ihre kleinen Körper ins Meer getaucht worden. Hier hatten Daniel und sie unzählige Spaziergänge gemacht und schweigend Hand in Hand die Sterne betrachtet.
    Aber das waren nur Erinnerungen. Dieser Ort hatte keine Zukunft, nicht für Alice. In den letzten Jahren hatten ihre Kinder einen unsinnigen Zeitplan für das Sommerhaus entwickelt: Jeder Familie stand ein Sommermonat zu. Juni für Kathleen und ihre Kinder, Juli für Patrick und seine Familie, August für Clare, Joe und Ryan.
    Es machte Alice nervös, ihre Kinder eines nach dem anderen zu sehen. Die fröhliche Spontanität früherer Sommer war vorbei. Seit Daniels Tod hielt nichts die Familie zusammen. Sie hatten sich voneinander entfernt, und irgendwann hatte Alice bemerkt, dass sie plötzlich nicht mehr die Matriarchin und weise, ordnende Herrin war, sondern die alte Dame, um die man sich kümmern musste, bevor man sich den schönen Dingen des Tages zuwenden konnte.
    Sie hatte das Gefühl, dass ihre Kinder sich nicht leiden konnten, oder schlimmer noch, dass sie keine Verwendung füreinander hatten. Wofür sollte sie also das Grundstück behalten? Und warum sollte sie jedes Jahr die weite Strecke hierherfahren, wenn sie sich dann doch nur einsam fühlte und etwas vermisste, das längst der Vergangenheit angehörte?
    Alice hatte den Eindruck, dass sich heutzutage jeder selbst der Nächste war. Die Art von Familie, in der Daniel und sie groß geworden waren und die sie weiterzuführen versucht hatten, gab es einfach nicht mehr. Ihre Mutter hatte inklusive der zwei verstorbenen Kleinkinder acht Kinder geboren. Bei Daniels Mutter waren es zehn gewesen. Obwohl sie den Krach, das Chaos und die Opfer, die das damals bedeutet hatte, gehasst hatte, sah Alice jetzt, dass es auch schön war, Teil einer großen Familie zu sein. Ihre Kinder und deren Kinder würden das nie verstehen. Deshalb zögerten sie auch nicht, die Sommermonate in Maine aufzuteilen und wenige Kilometer voneinander entfernt zu leben, sich aber nur alle paar Wochen zu sehen. Oder, wie in Kathleens Fall, ohne triftigen Grund ans andere Ende des Landes zu ziehen. Würmer, Herrgott nochmal.
    Sie legte die Teller vorsichtig in eine auf dem Boden stehende Kiste. Darin stand schon eine Teekanne, die seit einer halben Ewigkeit zu dem alten Sommerhaus gehörte, ein paar alte Küchenhandtücher lagen darin und eine Kaffeetasse mit der Aufschrift Küss mich, ich bin Ire , die ihrem Bruder Timothy gehört hatte. Alice nahm die Tasse wieder heraus und stellte sie in den Schrank zurück.
    Ihre Brüder fehlten ihr. Heute noch mehr als nach ihrem Tod vor einigen Jahren. In letzter Zeit verfolgten Alice auch Erinnerungen an ihre Schwester, und sie fragte sich, was gewesen wäre, wenn Mary nicht gestorben wäre. Im vergangenen Herbst waren es sechzig Jahre seit Marys Tod. Am achtundzwanzigsten November, ihrem Todestag, hatte Alice überlegt, ihr Grab zu besuchen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal da gewesen war. Auch ihre Eltern lagen dort begraben, die drei Namen auf einem Grabstein, auf dem auch die Namen der zwei kleinen Kinder

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