Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Die beiden saßen in der Küche, während vor dem Fenster Schnee auf die Rhododendronbüsche fiel, und das Gespräch wandte sich anderen Themen zu. Irgendwann ging es dann um St. Michael. Alice bemerkte die Sorgenfalten auf Pfarrer Donnellys Stirn. Die Finanzmittel schwanden, das Pfarrhaus verfiel, das Kirchendach war in schlechtem Zustand und im Keller, der bei Regen volllief, hatten sie jetzt auch noch mit Schimmelbefall zu kämpfen.
»Wenn wir Glück haben, bleiben uns dort vielleicht noch zehn Jahre«, sagte er. »Es ist einfach kein Geld für die Sanierung da.«
Alice konnte den Gedanken nicht ertragen, auch diese Kirchengemeinde zu verlieren. Plötzlich wusste sie, was zu tun war. »Meine Familie und ich haben beschlossen, dass das Grundstück in Maine nach meinem Tod an die Gemeinde von St. Michael gehen soll«, sagte sie. »Vielleicht beruhigt Sie das. Im großen Neubau und dem kleinen Sommerhaus ist Platz für zehn oder zwölf Personen. Sie können es aber auch verkaufen. Das Anwesen ist über zwei Millionen Dollar wert.«
Pfarrer Donnelly errötete genau wie Daniel, wenn er als junger Mann in eine peinliche Situation geriet.
»Aber Alice«, sagte er, »ich wollte damit doch nicht sagen –«
»Das weiß ich doch«, sagte sie. »Aber glauben Sie mir: Der Beschluss stand schon vor diesem Gespräch fest.«
»Ich kann mich Ihrer Familie unmöglich auf diese Weise aufdrängen«, gab er zurück.
»Ich habe St. Michael schon besucht, lange bevor Sie geboren wurden und bin seitdem jeden Sommer dort«, sagte sie mit ernstem Gesicht. »Ich habe der Gemeinde viel zu verdanken und es ist nur recht und billig, wenn ich jetzt etwas zurückgebe. Außerdem bedeutet das Grundstück meinen Kindern nichts.«
Noch während sie das sagte, wurde ihr plötzlich klar, dass die Kinder, vor allem Patrick, stinkwütend sein würden, dass sie eine solche Entscheidung ohne sie traf. Aber warum sollte sie das nicht tun? Schließlich war es ihr Grundstück. Hatte sie denn jemand nach ihrer Meinung gefragt, als es um die Einteilung der Sommermonate ging? Clare und Patrick brauchten das Geld nicht. Und Kathleen hatte schon Daniels Ersparnisse verschwendet. Der Gedanke daran erinnerte Alice an den Tag, an dem sie ihren Stolz überwunden hatte und Kathleen gebeten hatte, den todkranken Daniel gemeinsam mit ihr zur Vernunft zu bringen. Dass Kathleen ihre Unterstützung verweigert hatte, würde Alice ihr nie verzeihen. Daniel könnte noch am Leben sein, wenn er damals nicht jene Entscheidung getroffen und Kathleen darin nicht zu ihm gehalten hätte. Aber das konnte Alice jetzt nicht mehr ändern.
»Sie sollten sich das in Ruhe überlegen«, hatte Pfarrer Donnelly gesagt. »Sprechen Sie noch einmal mit Ihrer Familie. So eine Entscheidung darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen, Alice.«
Für sie war es so gut wie erledigt.
»Ich habe schon alles mit der Familie besprochen und wir sind uns einig«, sagte sie.
In derselben Woche ging sie zu ihrem Anwalt und änderte ihr Testament. Der Hektar Land und die zwei Häuser würden an St. Michael gehen.
Danach rief sie Pfarrer Donnelly an, um ihm mitzuteilen, dass es amtlich war.
»Oh Alice, vielen, vielen Dank.« Sie hörte die Erleichterung in seiner Stimme. »Bitte richten Sie Ihrer Familie aus, dass wir Ihnen unendlich dankbar sind.«
»Das werde ich«, log sie.
Alice hatte nicht vor, ihren Kindern davon zu erzählen. Sie sollten in Maine weiterhin Erinnerungen sammeln können, als hätte sich nichts geändert und ohne, dass das Gewicht eines baldigen Abschieds auf ihnen lastete. Außerdem wollte sie sich nicht mit ihnen auseinandersetzen. Die Familie hätte noch reichlich Gelegenheit dazu, sie zu verwünschen, wenn sie schon unter der Erde lag.
Maggie
E s war der erste Sonntag im Juni, ein Tag vor ihrer geplanten Abreise nach Maine zusammen mit Gabe. Maggie hatte sich zwei Wochen Urlaub genommen. Normalerweise war sie vor der jährlichen Fahrt so euphorisch und aufgeregt, wie sie es als Kind gewesen war, wenn sie ihrem Vater beim Beladen des Autos zugesehen hatte, bevor es Richtung Cape Neddick losging. Aber diesmal hatte sie Angst.
Schon morgen würden sie am Strand sein. Morgen würde sie es Gabe endlich sagen. Sie stellte sich vor, wie sie seine Hand nahm und ihn zum steinernen Steg hinunterführte. Sie würde gar nicht erst um den heißen Brei herumreden: »Schatz, ich hab Neuigkeiten.«
Dann würde das richtige Leben zu zweit beginnen: Ihr zweiter Jahrestag, dann die
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