Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Zweiraumwohnung in Manhattans East Village. Oder Gabe würde Panik kriegen und alles würde ganz anders kommen.
Sie weckte ihn mit einer Flut von Küssen, die sie über sein Gesicht, seinen Nacken und seine Brust verteilte, und hoffte, so ihre Nervosität zu verstecken.
»So, dann packen wir mal deinen Kram!«, sagte sie.
Neben dem Bett stand ihr prall gefüllter Louis Vuitton. Tante Ann Marie hatte Maggie den ausrangierten Koffer fürs Auslandsstudium vor zehn Jahren geschenkt. Maggies Mutter war stinksauer gewesen, aber Maggie hatte sich sehr gefreut. Sie hatte ihn am Abend zuvor aus ihrer Wohnung mitgebracht. Heute übernachtete sie noch ein zweites Mal bei Gabe und am nächsten Tag sollte es gegen Mittag losgehen, gleich nachdem Gabe den frühen Fototermin erledigt hatte. Er hatte nichts dagegen, vor der Reise zwei Nächte hintereinander mit ihr zu verbringen – das allein war schon ein gutes Zeichen, schließlich brauchte Gabe gewöhnlich viel Zeit und Raum für sich. Bis vor kurzem war es für sie fast selbstverständlich gewesen, dass sie sich gemeinsame Zeit mit ihm erkämpften musste, aber vielleicht änderte sich das gerade.
Er lachte ins Kissen. »Maggie, es ist mitten in der Nacht. Außerdem fahren wir erst morgen«, sagte er.
Eigentlich war es schon fast zehn Uhr, aber sie sagte dazu nichts und kochte stattdessen Kaffee. Normalerweise wachte er vor ihr auf und bis sie aufstand war das Frühstück schon fertig: Omelette, Bratkartoffeln, Würstchen und Waffeln, alles in einem einzigen Gang, wie bei einem Truckerpaar. In den zwei Jahren ihrer Beziehung hatte sie drei Kilo zugelegt, aber er schien es nicht bemerkt zu haben.
Durch das Küchenfenster sah sie einen Obdachlosen seinen Einkaufswagen über den Bürgersteig schieben. Auf der anderen Straßenseite saßen ein paar Hipster in engen, dunklen Jeans auf einem besprayten Treppenaufgang und teilten sich eine Zigarette. Im Gegensatz zu Gabe konnte sie an dieser Gegend nichts Schönes finden. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie es sein würde, ihr geliebtes, grünes Brooklyn Heights zu verlassen und Abschied zu nehmen von den schönen Backsteinhäusern, dem Blick auf die Manhattan Skyline und die Brooklyn Bridge von der Promenade aus und dem sonntäglichen Markt, auf dem Gabe und sie im Herbst frisches Gemüse, Apfelkuchen und, für die Feuertreppe, Dahlien kauften, die ihre Pflege nie lange überlebten.
Sie konnte sich nur schwer vorstellen, hier zu leben, in einer Gegend, die für junge Nachteulen gemacht war und aus Kneipen und Beton bestand. Besonders mit einem Kind. Aber vielleicht würden sie in eine ruhigere, kinderfreundliche Gegend umziehen. Vielleicht sogar in die Park Slope.
Aber ein Teil von ihr bezweifelte, dass sie ein gemeinsames Leben führen würden. Vielleicht war das alles nur die neueste Episode in ihrer Serie lächerlicher Beziehungen, in der ihre riesigen Hoffnungen schließlich doch immer verpufften.
Obwohl sie es schon seit über zwei Wochen wusste, hatte Maggie niemandem von der Schwangerschaft erzählt. Schon viele Male hatte sie die Panik gepackt und sie hatte zum Telefon gegriffen, um ihre Mutter oder ihre beste Freundin Allegra anzurufen, aber bisher hatte sie diesem Bedürfnis widerstehen können. Gabe sollte es als erster erfahren.
Noch nie hatte sie derartige Höhen und Tiefen erlebt. Sie konnte sich einreden, dass das alles ganz toll und super war und sich ein paar Minuten lang entspannen. Aber kurz darauf flippte sie aus und war der festen Überzeugung, den Fehler ihres Lebens gemacht zu haben.
Sie wusste genau, wie es passiert war. Monatelang hatte sie an nichts anderes denken können als an Babys. Das Gefühl hatte sie plötzlich wie aus dem Nichts überfallen: Sie wollte ein Kind. Plötzlich hatte sie begriffen, was Frauen meinten, wenn sie von der biologischen Uhr faselten. In der U-Bahn und in der Mittagspause blickte sie jedem Kleinkind sehnsüchtig nach, und an bestimmten Tagen im Monat hätte sie die nächstbeste Person im Kinderwagen kidnappen können.
Maggie wusste, dass Gabe und sie eigentlich noch nicht so weit waren. Aber eines Abends im April hatten sie ein langes Gespräch von der Sorte, wie sie es aus dem ersten Collegejahr kannte. Es ging um das Leben im Allgemeinen und darum, dass, wie ihre Mutter es ausdrückte, das Leben das sei, was passiert, während man Pläne schmiedet. Als Künstlernaturen gaben sie der Art und Weise, wie sie sich kennengelernt hatten, viel Bedeutung. Vielleicht zu
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