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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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Operation ruinierte ihre Gesundheit. Sie musste immer wieder operiert werden, verbrachte viel Zeit in Sanatorien. Operationsnähte hielten nicht, Infekte quälten sie. Bei einem ihrer Kuraufenthalte lernte sie ihren späteren Mann Robert Hollitscher kennen. Niemand in der Familie rechnete damit, dass sie jemals Kinder haben würden, obwohl die beiden sich das sehnlichst wünschten. Mathilde schien zu schwach dafür. Doch zum Erstaunen der Familie wurde sie 1912 schwanger, allerdings …« Dr. Gnoth stockte, sah sie traurig an und winkte dann ab. »Das tut ja nichts zur Sache. Wichtig ist nur: Dass Mathilde überhaupt schwanger wurde, war damals eine kleine Sensation. Und es gibt eine Vermutung, warum das gelang …« Er brach abrupt ab, zog heftig an der Zigarette. Mit einem leichten Zischen verbrannte der Tabak.
    Sophie lehnte sich zu dem Archivar vor.
    »Welche Vermutung?«, fragte sie leise. Der Archivar sah unruhig hin und her. Sophie war darauf trainiert, Veränderungen bei Menschen wahrzunehmen. Der Mann fühlte sich offensichtlich nicht wohl.
    »Hören Sie, ich weiß ja inzwischen, trotz Ihres Psychologie-Studiums verspüren Sie wenig Nähe zur Familie Freud. Aber wir bekennenden Freudianer sind verschworen, manchmal erinnern wir an einen Geheimbund. Es gibt viele Dinge, die man intern weiß, die aber nie nach außen dringen, weil sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Wir verwalten das Erbe der Familie Freud, wir fühlen uns verpflichtet. Hätten Sie nicht diese besondere Begegnung im Flugzeug gehabt, ich würde sicher nicht mit Ihnen hier sitzen und so offen reden. Aber nun gut, so war es halt. Trotzdem, ich muss mich zurückhalten. Dies ist Mathildes Geschichte, wie viel ihr Vater überhaupt davon wusste, ist schwer zu sagen. Er hätte sicherlich seine Vorbehalte gehabt. Aber ich rede schon wieder zu viel. Gleich führe ich eine Gruppe Psychoanalytiker aus Chile durch das Museum. Bevor ich gehe, werde ich ein Buch herausholen, die Seite aufschlagen und den Stift an eine bestimmte Stelle legen. Ein Hinweis, mehr nicht. Das ist alles, was ich für Sie tun kann. Enträtseln müssen Sie die Stelle selber, aber einen Fund zu enträtseln steht – so viel kann ich verraten – in guter Freud-Tradition.«
    Er drückte seine Zigarette im Friedhof der anderen Zigaretten aus. Erstaunlich, dass er hier einfach so rauchen durfte, umgeben von so viel wertvollem alten Papier. Dann stand er auf und ging einen Raum weiter.
    Sophie hörte ihn murmelnd durch das Regal stöbern, plötzlich hielt er inne und zog offenbar ein Buch hervor. Blätternd kam er wieder ins Zimmer, schob den Aschenbecher nach hinten, legte das Buch hin und nahm einen schwarzen Füllfederhalter, den er mittig ins Buch platzierte. Danach ging er zu Sophie und gab ihr die Hand.
    »Ich darf mich verabschieden. Viel Glück auf Ihrer Suche. Ich hoffe, Sie finden, wonach Sie streben.« Er schnappte sich den Schlüsselbund vom Schreibtisch und ging Richtung Tür. »Wenn Sie fertig sind, ziehen Sie einfach hinter sich zu«, rief er noch. Dann schloss er die Tür.
    Sie war mutterseelenallein im Freud-Archiv. Neugierig ging sie zu dem Buch. Es war in einer ältlichen Sütterlinschrift verfasst, die Sophie jedoch keine Schwierigkeiten bereitete. Der Eintrag war aus dem Jahr 1905 und stammte von Sigmund Freud selbst. Offenbar war der Mann gerade in Südtirol im Urlaub. Er wanderte zusammen mit seinem Bruder durch die Berge.
    » Wir waren also bei schönem warmen Wetter, obwohl nebligem Himmel, sodass man die vielen schneeweißen Berge nicht von den Wolken trennen konnte, in …« Da stand es nun, das Wort, auf das es ankam, ein anderes kam nicht infrage: Marienbrunn . Wo oder was sollte das sein? Die Beschreibung ging danach noch eine Weile weiter, Rast im Schatten von Vergissmeinnicht, auch Erika und Krokusse kamen vor. »Es war eine entzückende Einsamkeit, Berg, Wald, Blumen, Wasser, Schlösser, Klöster und keine Menschen. Auf dem Rückweg begann es zu regnen, aber gnädig. Das Abendessen hat dann sehr geschmeckt« , endete der Eintrag.
    Verwundert klappte Sophie das Buch zu, nicht ohne zuerst den Stift herausgezogen zu haben, und ging zum Ausgang. Marienbrunn, sie hatte noch nie davon gehört. War das ein Dorf hoch oben in den Bergen? Ein Kloster? Eine Hütte? Und was hatte dieses Marienbrunn mit Mathildes plötzlicher Schwangerschaft zu tun? Nicht nur ein Rätsel, gleich mehrere Rätsel. Das hatte Dr. Gnoth ja schon angekündigt.
    Da fing Sophie

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