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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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Feuer. Wie aufregend die letzten vierundzwanzig Stunden verlaufen waren – erst die Begegnung mit der Dame im Flugzeug, nun ein verschlüsselter Hinweis im Freud-Archiv. Sie würde der Sache nachgehen. Warum? Sophie wusste es selbst nicht so genau. Wie hatte Dr. Gnoth gesagt: Zum Erstaunen der Familie wurde Mathilde Freud plötzlich schwanger – »es gibt eine Vermutung, warum das gelang«. Marienbrunn! Fest entschlossen, die Lösung zu finden, verließ Sophie die Räume der Berggasse 19.

7
    »Ich verstehe das nicht. Wieso bist du diese Mauer hochgeklettert? Was wolltest du diesem Grotemeyer damit beweisen? Du hast doch der Kletterei abgeschworen …«
    Johann stand wie angewurzelt auf dem Stephansplatz, zu empört, um auch nur einen Schritt weiterzugehen, und zwang Sophie damit, auch stehen zu bleiben. Dass ihn irritierte Touristen anrempelten, die Wiens berühmtesten Platz besuchen wollten, schien Johann nicht zu stören. Er wusste, wie man stand, wie man blockte. Jahrelang hatte er Handball gespielt, ihn haute so schnell keiner um. Wie das bei Handballern so ist, war er sehr groß und hatte ein breites Kreuz. Seit einem halben Jahr trug er eine Brille, aber nicht, weil er schlecht sah – seine Dioptrienzahl war lächerlich klein –, sondern weil er versuchte, seine sportliche Statur verschwinden zu lassen. Mit dem Clark-Kent-Effekt. Wie Superman schlüpfte er – um die Superkräfte unsichtbar zu machen – in einen seriösen Straßenanzug und setzte sich eine professorale Hornbrille auf die Nase. Aus Superman wird so der weltfremde, liebenswerte, aber leicht vertrottelte Clark Kent. Mit diesem Trick arbeitete Johann also – auch, um geschäftsmäßiger zu erscheinen, weniger körperlich. Aber spätestens jetzt lenkte die Brille nicht mehr ab; wie ein Hüne stand er da und zwang alle, ihn zu umkreisen.
    Eine Frau blieb fluchend mit einer Einkaufstasche an seinem Oberschenkel hängen und schimpfte in schönstem Wienerisch.
    »Lass uns weitergehen«, drängelte Sophie. Aber Johann bewegte sich keinen Schritt.
    »Wieso gehst du so ein Risiko ein?«, beharrte er. »Du hast doch das Sagen im Assessment-Center, es war deine Gruppe. Warum hast du diesem Grotemeyer nicht einfach signalisiert, er sei raus?«
    »Seine Überheblichkeit hat mich geärgert. Ich wollte ihm zeigen, dass ich auch klettere.«
    »Aber das stimmt doch überhaupt nicht. Du hast damit aufgehört. Seit fast zwei Jahren warst du nicht mehr in den Bergen.«
    Das war richtig, sie hatte tatsächlich aufgehört. Sie hatte sich immer eingebildet, das sei ihr eigener Entschluss gewesen. Das Hobby schien einfach nicht mehr in ihr Leben zu passen. Sie arbeitete inzwischen viel, begleitete manchmal Johann auf seinen Geschäftsreisen, machte mit ihm kleine Städtetrips. Wo sollte sie die Zeit hernehmen? Sie war sich so sicher gewesen, das Klettern nicht zu vermissen. Als sie allerdings in Berlin hoch über den Köpfen der anderen Gäste schwebte, verspürte sie unerwartet eine regelrechte Sehnsucht.
    »Vielleicht fange ich wieder an«, sagte Sophie trotzig.
    »Bist du verrückt? Warum?«
    »In der Wand zu hängen und dann dieser Blick von oben …«, begann Sophie zögerlich. »Ich habe es vermisst.«
    Johanns Augen wurden schmal. »Du hast den Blick von oben vermisst? Das ist alles?«
    »Du kannst das nicht verstehen mit deiner Höhenangst«, sagte Sophie und wusste in dem Moment, als sie das Wort »Höhenangst« ausgesprochen hatte, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Johanns Höhenangst war sein wunder Punkt.
    Ganz am Anfang hatten sie einmal ein desaströses gemeinsames Wochenende in der Sächsischen Schweiz verbracht. Sophie hatte ihm die Kletterei nahebringen wollen, aber am Ende hing Johann, grün im Gesicht, eingeklemmt über einem Abgrund – den Rücken an der einen Wand, die Füße an der anderen. Danach schwor er, nie wieder im Leben zu klettern. Kurz danach hörte auch Sophie damit auf. Sie war noch ein oder zwei Mal allein gefahren, dann war ihr Interesse eingeschlafen.
    »Nein, ich verstehe es nicht. Aber du kannst es mir ja noch mal anschaulich erklären, was so grandios daran sein soll, ganz oben zu sein.« Er nahm ihre Hand und zog sie in Richtung Stephansdom.
    Warum war er bloß so wütend? Eigentlich hatte sie nur erzählen wollen, wie es zu ihrem Zwangsurlaub gekommen war. Irgendwo in einem netten Wiener Kaffeehaus. Sie waren gerade auf dem Weg zum Bräunerhof gewesen, ihrem Lieblingscafé in der Wiener Innenstadt. Kaum war der Name

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