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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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und würde enttäuscht sein. Auf der Rückseite eines Hotels fand man meist nur die Anlieferzone, vielleicht lag dort auch das Hotelschwimmbad. Nun hatte sie die Ecke erreicht. Mit fast kindlicher Neugier bog Sophie um sie herum.
    Vor ihr standen drei kleine Kirchen. Geschrumpfte Kirchen, eher drei Kapellen. Allerdings hatte jede ihren eigenen stolzen Kirchturm, der in die Höhe ragte. Sie standen sehr eng beisammen, und unvermittelt musste Sophie an drei runde, dicke Bauersfrauen denken, die mit gesenkten Köpfen in ein wisperndes Gespräch vertieft waren und einen kleinen, unzugänglichen Kreis bildeten. Wie anders wirkte dieses Ensemble als das benachbarte elegante Gründerzeit-Sanatorium mit seinem Stuck und seinen schwungvollen Holzeinfassungen. Die Kapellen mit ihren unebenen, groben Wänden aus Naturstein waren dagegen archaisch. Eine völlig andere Welt. Lediglich ein schmaler Wanderweg trennte das ehemalige Sanatorium von den Kirchen.
    Wie alt mochten sie wohl sein?
    Mittelalter, schätzte Sophie und fand sich schnell bestätigt. Im Sockel war die Zahl »1237« in Stein gemeißelt. Die Tür der einen Kapelle lag genau vor ihr. Neugierig ging sie hin, fand sie aber verschlossen. Ein Guckloch in der Holztür ließ zumindest einen Blick nach innen zu. Es war so dunkel drinnen, dass nur wenig zu erkennen war. Lediglich auf ein Fresko nahe dem Fenster fiel ein wenig Morgenlicht. Maria mit ihrem Jesus. Was für ein lebendiges Kind er dort war. Er kraxelte förmlich auf seiner Mutter herum, statt einem Heiligenschein tauchte hinter ihr sein runder Kinderkopf auf, mit einer Hand krallte er sich in ihrem Haar fest, die andere stützte sich auf ihre Schulter. Jesus wirkte hier wie ein normales Kleinkind – er spielte, wie alle anderen Kinder auf der Welt. Nur die Kerze in rotem Plastik, die ewige Flamme, gab dem Bild etwas Andächtiges.
    Maria. Marienbrunn. Deshalb der Name.
    Auch die zweite Kapelle war geschlossen. In sie konnte man noch nicht einmal hineinschauen. Aber wo war jetzt die Quelle? Sophie lauschte, eine Quelle musste man doch hören. Tatsächlich, es plätscherte – aber das Geräusch drang nicht aus einer der beiden Kapellen. Man hörte es am besten, wenn man zwischen ihnen stand, dort, wo ein sehr schmaler Weg, der eher an eine Abflussrinne erinnerte, zwischen den Mauern hindurchführte. Die Kirchen standen so dicht, dass Sophie kaum hindurchpasste. War dieser Weg für Menschen gedacht? Wohl kaum. Eine braun-weiße Katze, die sich gemütlich in der Rinne zusammengerollt hatte, hörte Sophie kommen, sprang erschrocken auf und flitzte weg. Das Plätschern wurde mit jedem Schritt lauter. Dann endete die Rinne – und zu ihrer Überraschung stand sie in einem Innenhof.
    Damit hatte Sophie nicht gerechnet. Die drei Kirchen standen tatsächlich so schützend zusammen wie die Bauersfrauen in ihrer Fantasie – um ein viertes Häuschen in ihrer Mitte herum … Es war ganz schlicht, ohne Kreuz, ohne christliche Symbolik, aber aus dem gleichen Naturstein wie die Kirchen. Ein einfaches Häuschen mit einem sehr steilen Dach. Von dort kam das Rauschen. Sophie eilte hin, das musste das Quellhäuschen sein.
    Tatsächlich. Sophie konnte die Quelle sehen. Allerdings kam sie nicht heran, denn eine Eisengittertür verschloss den Zugang. Sophie starrte auf die Natursteinwand, aus der ein einfaches Eisenrohr ragte. Das Wasser plätscherte durch das Rohr und sammelte sich in einem grob gehauenen Steinbecken. Wohin das Wasser wohl verschwand? Vermutlich lief es unterirdisch ab.
    Da stand sie nun vor dem großen Geheimnis: Die Quelle, die unfruchtbare Frauen fruchtbar machte. Eine Art Heiligtum. Doch besonders spektakulär wirkten weder die Quelle noch das Quellhaus. Auch nicht besonders wundertätig. Würden sich bei einer Wunderquelle nicht Zeichen der Dankbarkeit finden? Blumen, Kerzen, kleine Zettel, aufeinandergestapelte Kiesel – irgendeine Form des Andenkens? Dieser Ort war rein funktional und steinern, das hatte sie sich anders vorgestellt. Nur die drei Kirchen drum herum gaben ihm seine Erhabenheit. Aber gehörten Quelle und Kirchen überhaupt zusammen?
    Ernüchtert setzte sich Sophie auf eine schlichte Holzbank, die neben dem Quellhäuschen stand. Eine Bank, wie man sie in den Bergen findet, ein halbierter Holzstamm auf zwei Klötzen. Sophie zog den Reißverschluss ihrer Fleecejacke zu und legte sich darauf. Nun merkte sie, wie früh es noch war, erst kurz vor sieben. Vielleicht fehlte ihr doch der Kaffee. Oder

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