Sommer mit Nebenwirkungen
einen Schlüsselbund aus der Tasche. »Und Studnitz reicht völlig.«
»Also, wenn ich einen Adelstitel hätte …«, begann Sophie. Herr von Studnitz winkte ab.
»Der interessiert mich nicht.«
So ein Kauz, dachte Sophie. Jetzt steckte er in einem dicken groben Pullover und wieder einer Jeans. Während sie ihn so von hinten sah, wie er am Schloss herumnestelte, musste sie zum zweiten Mal zugeben, dass er wirklich einen knackigen Po in der Hose hatte. Überhaupt war dieser von Studnitz ein ganz gut aussehender Kerl, zumindest, wenn man auf zartere Männer stand – einer wie Johann würde ihn allerdings gnadenlos überrennen. Wie alt er wohl war? Schon über vierzig oder noch darunter? Schwer zu sagen, der Bart ließ ihn so zeitlos aussehen. Die Gittertür zum Quellhaus schwang nun auf, Herr von Studnitz griff sich die ersten beiden Wasserkanister und trat ein.
»Darf ich Ihnen helfen?«, fragte Sophie. Er drehte sich um und musterte sie.
»Sie können einfach reinkommen. Dafür müssen Sie nichts tun. Das ist Teil unserer Gästebetreuung.«
»Ich gehe Ihnen gerne zur Hand, wirklich. Meine Eltern haben einen Garten«, sagte Sophie und musste selbst lachen. Was für eine dämliche Antwort.
»Oh, ein Reihenhauskind. Dann wissen Sie ja, was Arbeit heißt«, erwiderte von Studnitz in ironischem Ton. Sophie nahm das als »ja«, griff sich zwei Kanister und trat ein.
»Das ist also das Quellhäuschen«, sagte sie und schaute sich um.
»Die Brunnenstube«, verbesserte Herr von Studnitz.
»Wieso, hier ist doch gar kein Brunnen«, kommentierte Sophie erstaunt.
»Keine Ahnung, es heißt halt so. Dies hier ist die Brunnenstube.« Er reichte ihr den ersten mit Quellwasser gefüllten Wasserkanister und nahm ihr einen leeren ab. Sophie verschraubte ihn und brachte ihn zur Schubkarre.
Die Luft in der Brunnenstube war anders als draußen, deutlich feuchter – und das, obwohl dank der Eisengittertür immer frische Luft hereinkam. Wieder zurück, betrachtete sie wartend die Umgebung. Gab es denn gar nichts zu entdecken? Eine Inschrift oder zumindest ein Zeichen, irgendein Symbol? Verstohlen schaute sie sich um. Nein, nichts. Die plätschernde Quelle, das steinerne Becken, links eine kleine Treppe, die zu einer groben hölzernen Tür führte.
»Was liegt dahinter?«, fragte Sophie.
»Geräte«, sagte von Studnitz. Sophie schaute ihn fragend an.
»Gartengeräte. Rasenmäher, Harke, weitere Schubkarren, Wasserschläuche zum Rasensprengen. Die letzten Sommer waren sehr trocken hier oben.«
Wieder nichts. Unwillkürlich griff Sophie an die Wand, als wollte sie spüren, ob der Stein nicht doch etwas zu erzählen hatte. Ganz glatt fühlte er sich an, fast speckig.
»Wollen Sie mir nun helfen oder hier nur rumstehen?«, raunzte Herr von Studnitz sie an. Er drückte ihr einen weiteren gefüllten Kanister in die Hand. Eilig reichte sie ihm einen leeren, schraubte die beiden anderen zu und trug sie zur Schubkarre. Man merkte, dass die Sonne höher stieg, eine Ecke des Quellhofes lag nun schon im Sonnenlicht.
Als sie zurückkam, fragte von Studnitz: »Na, haben Sie es gespürt?«
»Was gespürt?«, erwiderte Sophie vorsichtig, denn sie wusste nicht, worauf er hinauswollte. Und sie hatte keine Lust, wieder angemeckert zu werden.
»Den speckigen Stein. Alle Frauen tun das, was Sie gerade getan haben – sie fassen die Wand an. Seit Jahrhunderten schon. Weil sie etwas spüren wollen von der Kraft des Wassers.« Studnitz reichte ihr den nächsten Kanister.
Erst jetzt fiel Sophie auf, dass der Stein tatsächlich an manchen Stellen hell und speckig war und an anderen dunkel und grob. Wo hatte sie das schon einmal gesehen? In einem Freizeitpark, erinnerte sie sich, als Kind, vor der beliebten Wildwasserbahn. Dort hatte man immer lange anstehen müssen. Die vielen menschlichen Hände hatten den Stein über die Jahre hinweg regelrecht poliert. Plötzlich erkannte sie, dass auch dieses Brunnenhäuschen voller menschlicher Spuren war. Man betastete, was man nicht begreifen konnte.
»Ist das denn eine christliche Sache hier? Ich meine, wegen der drei Kapellen und der Maria. Es wundert mich, denn die Frau, deren Geschichte mich hier hochgelockt hat, war eine österreichische Jüdin. Die hätte niemals an einer Marien-Wallfahrt oder so etwas Ähnlichem teilgenommen«, sagte Sophie. Ihren gleichfalls jüdischen Mann Robert Hollitscher hatte Mathilde damals selbstverständlich in einer Synagoge geheiratet. Dabei war ihr Vater Sigmund Freud
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