Sommer mit Nebenwirkungen
ein bekennender Atheist, der jüdische Bräuche, zum Leidwesen seiner gläubigen Frau, zu Hause nicht feiern wollte. Doch trotz aller Assimilation und Glaubensferne, auch Sigmund Freud hätte seine jüdische Herkunft nie verleugnet. Mathilde Freud in einer katholischen Kapelle, das schien Sophie ein Ding der Unmöglichkeit.
Endlich machte Nick Knatterton eine Pause und setzte den halb vollen Kanister ab.
»Die Quelle ist viel älter als das Christentum. Man wusste schon immer um ihre Heilkraft. Dass es hierher Marienwallfahrten gibt, liegt einfach daran, dass dem Wasser eine wundersame Kraft zugeschrieben wird. Wunder und Christentum, das verträgt sich gut. Die Katholiken haben sich den Ort früh zu eigen gemacht, sie haben sich sozusagen draufgesetzt – mir soll es egal sein. Den meisten Frauen, die hier hochkommen, scheint es auch egal zu sein. Für andere verstärkt es dagegen den Glauben in die Heilkraft noch. Jede, wie sie will, ich bin da ganz liberal.« So viel hat Herr von Studnitz ja noch nie geredet, dachte Sophie erstaunt. Jetzt drehte er sich wieder um und füllte weiter seine Kanister.
Na, wenn er um diese Zeit so redselig war, würde sie das nutzen.
»Warum«, fragte Sophie weiter, »wirbt das Hotel nicht mit dem Wasser? Ich konnte nirgends einen Hinweis finden – weder im Internet noch im hauseigenen Prospekt. Und an der Rezeption tat man auch so, als ob man nicht wüsste, wovon ich spreche.«
»Das würde nur Ärger geben«, antwortete von Studnitz, ohne sich umzudrehen. »Gesundheitsamt, irgendwelche Prüfbehörden, am Ende noch die Krankenkassen. Wozu die ganze Aufregung? Uns geht es ganz gut so – wir haben normale Gäste und Gäste wie Sie, die Frauen kommen immer nach. Die Flüsterpropaganda hält sich. Wenn ich einen Hinweis im Internet finde, dann lösche ich ihn.« Er reichte ihr, ohne sich umzudrehen, den vollen Kanister. Sie gab ihm einen leeren.
»Löschen? Geht das denn?«, fragte Sophie erstaunt.
»Ich habe da so meine Tricks. Die wirklich wichtigen Dinge stehen nicht im Internet. Auch nicht die wirklich wichtigen Personen – sehr reiche Leute beispielsweise, die kein Interesse an öffentlicher Präsenz haben. Googeln Sie mal den Namen eines reichen Drahtziehers, so jemand, dessen Namen man nur hinter den gepolsterten Türen der Bankhäuser in Frankfurt oder in Zürich kennt. Sie werden kaum Einträge finden. Schon mal versucht?«
Wieder kam ein voller Kanister zurück, und Sophie nahm ihn entgegen. Dann trug sie die beiden vollen Kanister zur Schubkarre. Die Sonnenecke war deutlich gewachsen, wie schnell das um diese Tageszeit ging. Als sie wiederkam, sah sie, wie von Studnitz seine Hände zur Schale faltete und Wasser aus der Quelle trank. Sehr geübt, der Mann war ein richtiger Naturbursche.
»Möchten Sie auch?«, fragte er grinsend.
Sophie, die auch schon daran gedacht hatte, aber sich nicht getraut hatte, weil sie nicht sicher gewesen war, ob man sich bei einem Wunderwasser nicht anders benehmen musste als bei einer einfachen Bergquelle, stellte sich dankbar an den Beckenrand und trank. Eiskalt kam das Wasser aus der Wand, es schmeckte frisch und wunderbar. Ein echter Kaffee-Ersatz.
»Und, was meinen Sie, hilft das Wasser wirklich? Ich meine, bei einem Kinderwunsch?« Sophie schraubte gerade den nächsten gefüllten Kanister zu.
Herr von Studnitz musste lachen. »Ich bin hier aufgewachsen und kenne das Hotel noch als Sanatorium, es gehörte schon immer unserer Familie. Meine Mutter hat das Wasser täglich getrunken, und sie war sehr katholisch. Fragen Sie mich doch mal, wie viele Geschwister ich habe.«
»Und?«, fragte Sophie brav.
»Acht«, sagte Nick Knatterton trocken.
»Das lässt ja hoffen«, kommentierte Sophie und band sich ihre Locken mit einem Haargummi zusammen, damit sie ihr nicht ins Gesicht hingen. Dann schickte sie sich an, die nächsten zwei Kanister herauszutragen. Sie schlugen gegen ihre nackten Beine. Hätte sie gewusst, dass sie schleppen würde, hätte sie sich lange Hosen angezogen.
»Sie wissen allerdings schon, dass nur Wasser allein nicht reicht«, sagte Nick Knatterton in ihrem Rücken. »Sie brauchen auch einen Mann.«
Sophie drehte sich um. Lächelte er sie an?
»Einen Mann habe ich, vielen Dank. Wir sind sogar verlobt.«
»Ja«, sagte Herr von Studnitz gedehnt, »aber die große Frage ist: Ist Ihr Verlobter auch der passende Mann, um schwanger zu werden?« Sein breites Grinsen war trotz des Tarnbartes unverkennbar.
Verflucht,
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