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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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Sonst ist er in der Branche ein toter Mann!«
    Unten am Gatter traf Sophie mit seiner Frau zusammen, die gerade einem der kleineren Jungs beim Pinkeln geholfen hatte. »Das hat doch prima geklappt mit deinem kleinen Feuerwehrschlauch«, hörte sie die Mutter noch sagen, die ihrem Sohn gerade den Reißverschluss der kurzen Hose hochgezogen hatte. Aber der Kleine hörte schon nicht mehr hin und rannte zurück zu den anderen.
    »Kinder«, sagte die Frau und lächelte Sophie an. Wie müde sie aussah. Vermutlich sind wir im gleichen Alter, dachte Sophie.
    »Sie haben eine süße Familie«, antwortete Sophie, was stimmte, alle fünf Kinder waren ausgesprochen niedlich anzusehen.
    Die Frau strahlte und sah gleich viel weniger müde aus.
    »Ja, finde ich auch. Sie sind alle süß. Außer dem da …« Sie zeigte mit dem Daumen in Richtung ihres vermummten Mannes, der nun auf dem Stein saß. »Das kann jetzt dauern. Wahrscheinlich sind wir die nächste Stunde auf der Schafswiese, vielleicht sogar zwei. So geht es jeden Tag. Zum Glück lieben die Kinder die Schafe.«
    »Warum so lange?«, fragte Sophie neugierig.
    »Er macht Geschäfte, erledigt Meetings. Deshalb trägt er auch den dämlichen Schal um den Kopf – damit die Vorstandskollegen das Blöken der Schafe und die Kinder nicht hören. Der Schal dämpft alle Außengeräusche. Es sieht wirklich verboten aus.«
    Deshalb lief der Kerl also so sonderbar herum – er arbeitete im Urlaub. Und die arme Frau musste ihn mit den fünf Kindern zur telefonischen Arbeitssitzung begleiten. Eins der Kinder rannte nun auf den Vater zu. Er sah es kommen und versuchte mit hektischen Bewegungen, das Mädchen zur Umkehr zu bewegen. Doch es hatte irgendetwas in der Hand, das dringend vorgeführt werden musste. Unwirsch machte er seiner Frau ein Handzeichen: Regle du das. Dann drehte er dem Kind den Rücken zu. Das bremste enttäuscht ab.
    »Es tut mir leid, ich muss los. Meinen Mann vor seinen Kindern retten«, sagte sie zu Sophie. »Es war nett, Sie kennengelernt zu haben.«
    »Fand ich auch«, rief Sophie ihr hinterher, denn die Frau rannte schon über die Wiese. Nun hatte sie das Mädchen erreicht, nahm es sanft am Arm und hielt es zurück, kniete dann nieder und sprach auf es ein. Kurz schmiegte sich die Tochter in ihr Haar, wollte sie weinen? Nein. Sie hielt die Hand ganz nah vor das Gesicht der Mutter und öffnete sie langsam. Ein Schmetterling flog heraus und stieg schnell in die Luft, flatterte noch eine Weile und entschwand. Mutter und Tochter schauten begeistert hinterher. Sophie musste lächeln.
    Ob der Vater die hübsche Szene mitbekommen hatte? Sie schaute zu ihm hinüber. Nein, auf keinen Fall. Er saß mit dem Rücken zu den Kindern, den Schal noch fester um den Kopf gezogen und sprach eindringlich ins Telefon. Sein Rücken sah wichtig aus. Wahrscheinlich ging es schon längst nicht mehr um zwei, sondern um acht oder zehn Millionen. Vielleicht sogar um die Weltherrschaft.

13
    Da saßen sie, zu viert nebeneinander, alle die Augen hinter den Sonnenbrillen geschlossen, die Füße auf dem Geländer, und ließen sich von der Sonne bescheinen. So weit oben, in über zweitausend Metern Höhe, war das Licht besonders intensiv. Dass die Holzbank hart war, störte sie nicht. Nach der kleinen Wanderung zum kristallklaren Bergsee waren alle erschöpft. Nun hatten sie etwas gegessen, einen Kaffee getrunken und ruhten sich aus. Wie still es war so hoch oben in den Bergen. Die Baumgrenze lag weit unter ihnen, alles war kahl, es gab nur Himmel und Steine. Sophie öffnete die Augen, blinzelte und blickte auf die anderen Berge, die zu ihren Füßen lagen.
    Ein vom Hotel organisierter Ausflug erinnerte immer an einen Klassenausflug. Gerade weil es in Marienbrunn nichts anderes gab als das Hotel selbst, kannte Sophie nach wenigen Tagen schon die meisten Gäste, zumindest vom Sehen. Und sie kannte ihre Macken.
    Das Hotelleben ließ einen schnell privat werden. Besonders, wenn man, wie hier oben, gemeinsam an einem abgelegenen Ort festsaß. Allein die Tatsache, dass man sich morgens noch ziemlich verschlafen im Frühstücksraum gegenübersaß, schaffte schon Vertrautheit. Vor wenigen Stunden war man noch gut gekleidet und geschminkt – zumindest die Damen – beim mehrgängigen Abend-Menü im Restaurant beisammengesessen. Der gute Wein hatte die Wangen gerötet, ein Teppich aus Stimmen und Gesprächsfetzen den Raum erfüllt. Nun, am Morgen danach, stand man stumm nebeneinander am

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