Sommer mit Nebenwirkungen
winkte den anderen. »Kommt mal her, da unten, seht ihr, am Rand der Hütte …«
Sie lehnten sich jetzt alle nach vorn – tatsächlich, dicht an die Hüttenwand geschmiegt standen lauter kleine schöne Blümchen mit lila Kelchen und harrten aus.
»Glockenblumen«, stellte Sophie erstaunt fest.
»Lässt euch das nicht hoffen? Sogar auf so einem kargen Gelände kann etwas wachsen. Dann wird es bei uns auch noch klappen.« Julia lehnte sich weit vor, pflückte eine Blüte und hielt sie der Moderatorin hin.
»Für dich. Als Zeichen unserer Hoffnung.« Doch die drehte sich wütend um und rauschte mit ihrer Entourage ab. Sophie schaute ihr nachdenklich hinterher.
»Na ja«, sagte sie, »machen wir uns nichts vor – das Alter ist ein Problem.«
»Wenigstens sind wir alle in festen Händen«, meinte daraufhin Julia und griff nach Sophies linker Hand, an der sich ein zarter Ring befand. Das schöne Schmuckstück war nicht zu übersehen – es war nicht der klassische Ein- oder Mehrkaräter mit dem dicken Diamanten in der Fassung, sondern ein Ring aus vielen kleinen, schillernden Brillanten, die zart in Weißgold eingefasst waren. Ein Ring, so elegant und schmal, dass er regelrecht nach seinem Gegenpart verlangte – dem klassischen Ehering, den man nach der Trauung darüber trug.
»Täusche ich mich, oder ist das ein Verlobungsring?«, fragte Julia.
Trotz seiner pathetischen Ankündigung, sie »rauszuholen«, war Johann auch nach einer Woche noch nicht in Marienbrunn aufgetaucht. Sie hatten noch mehrmals telefoniert, und Johann hatte sich jedes Mal mehr aufgeregt. Er rief sogar ihre Chefin an, um sich bei ihr auszuheulen – über Marienbrunn und den »ganzen Esoterik-Quatsch«. Aber einfach mal aus Berlin losfahren? Das tat er nicht. Julias Mann war dagegen kurz zu Besuch gewesen, musste aber bald wieder abreisen. Katalins Freund wollte nächste Woche kommen. Und Zoe? Die sprach nicht gern über das Thema. Vielleicht kriselte es gerade. Aber es gab wohl jemanden.
Nein, für Sophie ließ sich niemand blicken. Ein großer Blumenstrauß war allerdings aus Berlin eingetroffen. Groß? Riesig. Sie kannte den Absender. Die Blumen warf Sophie in hohem Bogen auf die Wiese der Schafe, sehr zum Bedauern des Hotelchefs von Studnitz, der den Strauß liebend gerne am Empfang aufgestellt hätte. Den Umschlag pfefferte sie gleich hinterher. Wenn die Schafe Glückskekse samt Botschaften auffraßen, dann sicher auch Briefe in Luftpolstertaschen von dreisten Journalisten. Was darin geschrieben stand, war ihr vollkommen gleichgültig, Grotemeyer konnte sie mal.
Sophie schaute auf ihre Hand und nickte. Ja, das war ein Verlobungsring.
»Und, wann wird geheiratet?«
Schulterzucken. »Irgendwann, ich weiß nicht …«, sagte Sophie ausweichend.
»Wie lange seid ihr denn schon verlobt?«, erkundigte sich nun Zoe.
»Anderthalb Jahre«, erklärte Sophie.
»So lange? Und worauf wartet ihr noch?«, fragte Katalin erstaunt.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich darauf, dass ich schwanger werde. Wir dachten ja immer, es ginge schnell. Im Moment gibt es keinen richtigen Grund zu heiraten.«
»Liebe?«, murmelte Julia. Aber nur ganz leise. Sie war verheiratet. Und das schon seit Jahren.
»Liebe braucht kein Papier«, legte die trauscheinlose Katalin los, aber Julia gähnte sie nur provozierend an. »Ja, ja«, sagte sie dann. »Ich kenne das ganze Gerede: Wenn es echt ist, dann hält es auch so. Manche Leute sind verheiratet, aber die Liebe ist längst weg. Und so weiter und so fort. Klar, geht beides. Aber wenn man es ankündigt, wie bei Sophie, und es dann anderthalb Jahre nicht tut, dann ist es doch …«, Julia zögerte, »… sonderbar.«
Sophie musste lachen.
»Warum lachst du?«, fragte Zoe.
»Weil Julia sich Mühe gegeben hat, einen Gang runterzuschalten und sich diplomatischer auszudrücken.«
Dann hielt sie inne. Vielleicht war es die Höhenluft, die Sophie plötzlich die Dinge ganz klar sehen ließ. Vielleicht lag es auch daran, dass die drei Frauen, die ihr zuhörten, bis vor Kurzem noch Fremde gewesen waren. Und nach diesem Urlaub wieder Fremde sein würden. Ihrer Freundin Nina gegenüber hatte sie keinen auch nur annährend so ehrlichen Gedanken zum Thema Johann geäußert. Zu ihrem eigenen Erstaunen sagte sie:
»Wisst ihr, was das Tragische ist? Je länger diese Verlobung dauert, desto abhängiger werde ich von Johann. Also nicht finanziell, da ist alles klar. Auch nicht emotional. Aber biografisch. Ich bin jetzt
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