Sommer mit Nebenwirkungen
Frühstücksbuffet und versuchte sich zu konzentrieren, damit man endlich die schwer zu fassende Lachsscheibe mit der Vorlegegabel aufgepikst bekam, während der Hintermann schon ungeduldig schnaufte. Der Frühstücksraum lag morgens fast stumm da, gesprochen wurde allenfalls leise, flüsternd. Ab und zu raschelte eine Zeitung, oder man hörte das satte Geräusch nachgegossenen Kaffees. Klopf, knirsch, ein Ei wurde geköpft. Dieselben Menschen wie am Abend zuvor, und doch war alles anders. Die weinselige Leichtigkeit war dahin, und Morgenmuffligkeit erfüllte den Raum.
So war es in Hotels – man lernte die anderen kennen, ob sie einen interessierten oder nicht. Zoe, Julia und Katalin waren jedoch ein großer Gewinn für Sophie.
Am vergangenen Morgen hatte eine Tafel in der Lobby gestanden: »Tagesausflug zur Boulez-Hütte«, und Sophie und ihre neuen Freundinnen trugen sich sofort ein. Es hieß, die Hütte sei auch im Besitz der Familie von Studnitz, man habe sie lediglich verpachtet. Der Blick, sagte man ihnen, sei atemberaubend und schon die Gondelfahrt wegen der wunderschönen Umgebung ein Erlebnis.
All das stimmte.
Aber plötzlich verfinsterte sich die Sonne. Sophie richtete sich ein wenig auf und blinzelte dösig. Zwischen Sonne und Bank hatte sich die Fernseh-Moderatorin mit ihrer Gang geschoben. Sie sah deutlich besser aus als noch vor einigen Tagen, nur ein kleiner Verband klebte noch auf ihrer Nase, die Schwellung um die Augen war fast komplett zurückgegangen. Auch die Narben der anderen Frauen verheilten gut. Offenbar zeigte das Wasser bei ihnen schnell Wirkung. Sie tranken genauso eifrig davon wie Sophie und ihre Freundinnen. Wie viel hatte Sophie in den letzten Tagen wohl getrunken? Bestimmt drei Liter pro Tag. Egal, was ihr dieser Aufenthalt in Marienbrunn am Ende brachte – entschlackt war sie auf jeden Fall. Allein das war schon mal nicht schlecht.
»Was soll das?«, raunzte Julia. »Geht aus der Sonne.«
Die Moderatorin zeigte mit großer Geste auf die Umgebung. Sophie schaute sie giftig an. In den letzten Tagen hatte sich eine gepflegte Feindschaft zwischen ihnen entwickelt. Aber während Sophie die Moderatorin links liegen ließ, konnte die nicht aufhören, Sophie und die anderen zu piesacken.
»Na?«, sagte die nun also. »Schaut euch mal um. Was seht ihr?«
Was sah man? Sophie guckte an der Moderatorin und ihren Begleiterinnen vorbei. Eine typische hochalpine Landschaft. Hier oben war alles Stein, Geröll, Felswand. Grau in Hunderten Schattierungen.
»Steine?«, antwortete Sophie fragend.
»Steinerne Ödnis«, brachte die Moderatorin es auf den Punkt. »Karg und unbelebt wie auf dem Mond.«
»Was quatschst du da?«, fragte Julia ruppig und wollte schon aufstehen. Doch Sophie hielt sie zurück.
»Lass sie doch. Die ist schon wieder unterzuckert. Ich habe doch gesehen, wie sie eben den Kaiserschmarrn in sich hineingeschaufelt hat. Klar, Höhenluft macht hungrig. Leider musste er sie dann schnell wieder verlassen – ihr wisst schon, die Kalorien. Wäre schön, wenn du dein Essen mal bei dir behalten würdest.«
»Ah, der Königspudel spricht«, spottete die Moderatorin.
»So eine Super-Bitch«, sekundierte ihre Nachbarin. Sie trug immer noch das Schwimmreif-Sitzkissen mit sich.
»Und warum erzählst du uns das alles? Das mit der Ödnis?«, fragte nun Zoe, ehrlich neugierig. Sophie verdrehte die Augen. Zoe lieferte der blöden Kuh auch noch eine Steilvorlage. Irgendetwas wollte die doch ganz dringend loswerden. Tatsächlich, die Moderatorin zögerte nicht lange und ergriff ihre Chance.
»Diese steinerne Ödnis ist ein Sinnbild eurer Fruchtbarkeit. Ihr könnt so viel Wasser trinken, wie ihr wollt, bei euch wächst nichts mehr. Weil ihr alt seid.« Triumphierend funkelte die Moderatorin die vier an.
Sophie atmete laut aus, was für ein Schlag unter die Gürtellinie. Auch die anderen wirkten benommen.
»Wie alt ist sie denn?«, flüsterte Sophie den anderen zu.
»Ende zwanzig«, flüsterte Zoe sehr leise zurück. Doch die Gegnerinnen hatten es gehört.
»Autsch«, sagte nun eine aus der Clique der Moderatorin und wedelte mit den Fingern, als hätte sie sich verbrannt.
»Der Verband lässt sie zehn Jahre älter wirken«, sagte nun Katalin in normalem Ton.
»Die neue Nase acht.« Das war Zoe.
»Autsch«, machte nun Sophie.
Julia war derweil aufgestanden und beugte sich weit über die Brüstung.
»Na ja«, sagte sie, »ganz so karg ist es nicht …« Sie kam wieder hoch und
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