Sommer mit Nebenwirkungen
Kopfbewegung zeigte Zoe in Richtung Kommode, wo die Apparate und Gerätschaften standen.
»Hast du so was schon gesehen? Dieser Kinderwunsch lässt mich fast durchdrehen. Seit Jahren versuche ich es schon, fünf verschiedene Kliniken habe ich durch und jede Behandlung, die du dir vorstellen kannst«, begann Zoe.
»Auch in vitro?«, fragte Sophie. Zoe winkte nur ab. Natürlich auch in vitro.
»Jetzt hocke ich hier oben, trinke dieses Wasser, und plötzlich kommt mir alles so sinnlos vor. Ich bin jetzt vierundvierzig Jahre alt …«
»Im Ernst? Das sieht man dir aber nicht an«, rief Sophie ehrlich erstaunt. Zoe lächelte dankbar.
»Mag sein, dass ich jünger aussehe«, sagte sie, »aber mein Hormonspiegel sinkt erbarmungslos. Und dann die letzte Fehlgeburt …« Sie brach im Satz ab.
»Ja, das haut einen um«, begann Sophie vorsichtig. »Ich hatte auch eine.«
»Bei mir war es die elfte«, sagte Zoe mit tonloser Stimme. Sophie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen.
»Elf Fehlgeburten?«, wiederholte sie ungläubig.
Zoe umfasste den Becher noch enger, umkrampfte ihn regelrecht. Sie trank einen Schluck und entspannte sich dann etwas.
»Die Ärzte in den Kliniken sprechen es nie offen aus, aber es gibt immer mal Frauen wie mich, die durch die Fruchtbarkeitstherapie eine Fehlgeburt nach der anderen erleiden. Bei mir kam das Ende oft früh. Man hofft einige Wochen, und dann kommt eine Blutung, und das war es dann wieder. O Gott, ich bin schon so routiniert zu den Ausschabungen gegangen, ein T-Shirt und Strümpfe lagen immer frisch bereit, meist noch in der Original-Tüte. Ich habe nie ein T-Shirt aus der Klinik mit nach Hause zurückgenommen, sondern sie immer weggeworfen. Elf T-Shirts.« Und endlich begann sie zu weinen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, es dauerte einen Moment, dann rollte die erste Träne an der Nase vorbei, über die Wange, in Richtung Mundwinkel. Sophie stellte ihren Becher weg und nahm Zoe den Tee vorsichtig aus der Hand. Dann nahm sie sie in den Arm – und ein Sturm von Tränen brach aus Zoe heraus. Sie schluchzte und schluchzte, während Sophie sie festhielt und ihr beruhigend übers Haar strich. Sie wusste instinktiv, was hier geschah; dies war tatsächlich weniger ein Selbstmordversuch gewesen als vielmehr ein radikaler Abschied von einem großen Lebenstraum – Zoe wollte diesen Wahnsinn irgendwie beenden. Einen Schlussstrich ziehen. Die Ärzte hielten sie hin, sie versprachen, lockten, wie Sirenen. Elf Fehlgeburten, wer konnte so etwas ertragen? Warum hatten die Ärzte Zoe immer weitermachen lassen? Anstatt ehrlich zu sagen: Es ist vorbei.
»Ein Klacks, Frau Kaltenbrunn. Das kriegen wir im Nu hin.« Das waren Dr. Kempers Worte bei einer der ersten Sitzungen gewesen, sie hatte sie noch im Ohr. Und was hatte er ihr jetzt über Johann ausrichten lassen: Sie solle sich die frühe Fehlgeburt nicht so zu Herzen nehmen. Wie oft hatte sich Zoe solche Sprüche anhören müssen?
Wut stieg in ihr hoch. Nein, sie wollte Ärzten wie Dr. Kemper nicht unterstellen, dass sie nur aus Gier die Hoffnung am Leben hielten. Womöglich hatte in Zoes Fall der ein oder andere Arzt versucht, die Reißleine zu ziehen – der fünffache Klinikwechsel sprach dafür. Aber immer fand sich irgendwo ein anderer, der skrupellos genug war, Zoe vorzumachen, es sei alles kein Problem, alles sei machbar. Egal, wie alt sie sei. Egal, wie schlecht die Chancen stünden. Egal, ob die Psyche mitmache. Ach, Zoe.
Sie schälte sich langsam aus Sophies Umarmung. Ihr Gesicht war verquollen vom Weinen, aber sie hatte sich beruhigt.
»Ich sehe bestimmt schlimm aus«, sagte sie und lächelte schief.
Sophie grinste. »Zum Glück musst du nicht zum Abendessen runter. Hast du ein bisschen Hunger? Essen wäre jetzt gut, damit dein Körper wieder Kraft kriegt. Und wenn es nur eine Suppe ist. Die Küche hat dir ein paar Kleinigkeiten zusammengestellt.« Sie half Zoe beim Aufstehen, packte sie in eine warme Decke, und die beiden setzten sich an den Tisch vor das offene Fenster. Die kühle Abendluft tat gut. Langsam wurde es dämmrig, und der Abendstern stand am Himmel.
Sophie zeigte auf die Apparate auf der Kommode.
»Soll ich die wegpacken? Ich stelle die Sachen in mein Zimmer, in Ordnung? Ich glaube, es ist gut, wenn du mal einen Moment Pause machst und einfach zur Ruhe kommst und den Urlaub hier genießt. Ist das o . k.?«
Zoe nickte und zeigte Sophie den Karton, in den sie alles einpacken konnte. Die Kommode sah gut aus, so
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