Sommer mit Nebenwirkungen
ganz ohne Petrischalen und Apparate. Ein richtig schönes altes Bauernschränkchen.
Nachdem Zoe einen Teller Suppe gelöffelt hatte, kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. Dann aß sie noch ein Brot und sogar den halben Apfelstrudel. »Danke«, sagte sie am Schluss. Die beiden Frauen lächelten sich an.
»Ich verstehe«, sagte Sophie, »warum dich das Thema an den Rand der Verzweiflung bringt. Das ist offensichtlich. Aber sag mir eines: warum gerade heute? Was war der Auslöser, gerade jetzt die Tabletten zu schlucken?«
Zoe schaute weg, als sie antwortete. »Weil ich mich schäme«, murmelte sie.
»Du musst dich doch nicht schämen, wir sind hier oben doch alle in der gleichen Lage – keine von uns wird schwanger. Deshalb sind wir ja hier. Du bist unter Gleichen.«
Energisch schüttelte Zoe den Kopf. »Nein, nicht deshalb schäme ich mich. Ich habe …«
Sophie beugte sich ein wenig vor, um sie besser verstehen zu können. Zoe sprach jetzt sehr leise.
»… doch mit ihm geschlafen. Gestern Abend.«
Sophie schaute sie fragend an.
»Hier. In meinem Zimmer.«
Geschlafen? Mit wem?
»Mit dem Vater«, sagte Zoe jetzt atemlos.
Der Vater? Welcher Vater? Dann fiel Sophie die Szene auf der Hütte ein. Der Vater also. Der schalumwickelte Dauertelefonierer, der fünf Kinder in die Welt gesetzt hatte. Der Mann mit der durchschlagenden Fruchtbarkeit, wie sie alle gemutmaßt hatten.
Zoe schaute wirklich gequält. »Sag bitte nichts, ich weiß, das war das Allerletzte. Er ist im Familienurlaub, seine Frau wohnt hier mit seinen fünf süßen Kindern. Aber ich konnte nicht anders. Ich dachte, Zoe, nutze die Chance – der Kerl hat schon fünf Mal seine Frau befruchtet, dann gelingt es bei dir bestimmt auch. Wir hatten ja noch alle darüber gewitzelt, aber der Gedanke ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Meine Werte waren so perfekt. Es war die Nacht der Nächte – also vom Eisprung her gesehen. Mein Mann Paul unterstützt mich nicht mehr wirklich. Er hat die Nase voll vom Thema Kinderkriegen. Und dieser Kerl flirtete offen mit mir, seine Frau war längst mit den Kindern ins Bett gegangen. Nachdem wir uns unten in der Lobby verabschiedet hatten, stolperte er wenig später in mein Zimmer. ›Verzeihung, wir haben die gleiche Zimmernummer‹, murmelte er. Du weißt schon, die silbernen und die goldenen Hotelschlüssel. Diese Zimmerverwechslung, die konnte doch kein Zufall sein. Es schien mir wie ein Wink des Schicksals. Also habe ich es getan. Aber es war eklig, ich fühle mich wie eine echte Schlampe. Das war der absolute Tiefpunkt. Der letzte Dreck. Da habe ich die Tabletten genommen.«
Sophie dachte an den Wollschal und wie der Mann voll vermummt über die Wiese gelaufen war. Das Bild ging ihr nicht aus dem Kopf. Zoe war so eine hübsche Frau, normalerweise hätte er niemals bei ihr landen können. Plötzlich musste sie lachen.
»Da hat er aber Glück gehabt – als ich ihn auf der Telefonwiese gesehen habe, lief er herum wie ein Irrer.« Und sie erzählte Zoe von der Szene auf der Schafswiese. »Sehr attraktiv wirkte er allerdings auch ohne Schal nicht.«
»Er ist ein totaler Idiot!«, brauste Zoe auf. »Und ein beschissener Liebhaber.«
Sie nahmen beide einen Schluck aus ihren Teetassen. Sophie sah die Frau des Familienvaters vor sich, hatte plötzlich wieder im Ohr, wie sie abfällig über ihren Mann redete.
»Also, falls es dich beruhigt – du bist mit deiner Meinung nicht allein. Seine Frau spricht auch nicht gut über ihn. Besonders glücklich wirkt die Ehe nicht.«
»Aber die Kinder …«, jammerte Zoe.
»Na, denen wirst du ja hoffentlich nichts erzählen.«
Zoe nahm Sophies Hand und drückte sie. »Danke«, sagte sie. »Ich denke, ab jetzt versuche ich einfach mal, ein bisschen Urlaub zu machen.«
»Und keine weiteren Familienväter angraben«, sagte Sophie streng.
»Versprochen«, antwortete Zoe.
15
Als sie drei Stunden später in ihr Zimmer zurückkehrte, sah Sophie, dass die Leiter noch immer am Haus angelehnt war. Von Studnitz hatte wohl vergessen, sie nach seiner abendlichen Rettungstour für Laura Ronstedt wegzuräumen. Sophie warf den schweren Schlüssel auf die Kommode und trat ins Freie. Was tun? Die Leiter führte direkt an ihrem Balkon vorbei. Einfach stehen lassen und ins Bett gehen? Was sollte hier schon groß passieren? Sie war mitten in den Bergen. Hier tummelten sich keine Verbrecher. Zu Hause in Berlin würde niemand ernsthaft erwägen, mit einer Leiter vor dem Balkon einzuschlafen. Das
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