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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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wäre ja irre. Aber hier? Nein, Sophie, entspann dich. Dieser Tag war schon aufregend genug.
    Sie schleppte sich ins Bad. Sie fühlte sich geschafft. Eigentlich wäre jetzt duschen und eincremen dran gewesen, aber dazu fehlte ihr die Kraft. Müde putzte sie sich die Zähne, dabei fiel ihr Blick in den Spiegel. Wie erholt ich aussehe, dachte sie überrascht, trotz der Müdigkeit. Ein bisschen verwildert vielleicht, aber gut. Sehr braun, die Locken türmten sich ungestüm. Aber es lag noch etwas anderes in ihrem Gesicht, ein Strahlen, das sie noch nicht kannte. Und dann kam ihr ein Gedanke. Sie hatte zum ersten Mal seit Langem jemandem bewusst geholfen. Im Assessment-Center benutzte sie ihr Einfühlungsvermögen hauptsächlich dafür, Menschen schneller und besser zu durchschauen. Rein taktisch. Heute war der einzige Zweck gewesen zu helfen. Das Ergebnis fühlte sich erstaunlich gut an.
    Trotzdem war es anstrengend gewesen. Ausgelaugt streifte sie ihr Blumenkleid und die Sandalen ab und legte sich im Bikini auf das Bett. Jetzt bin ich wirklich urlaubsreif, dachte sie und musste leise lachen. Zum Glück hatte es im Restaurant noch etwas zu essen gegeben. Man hatte ihr ein Menü aufgewärmt und war dabei auffallend freundlich gewesen. Ob man unten etwas mitbekommen hatte?
    Auf dem Bett liegend, schaute Sophie nach draußen, sah den klaren Sternenhimmel und konnte die Berge erahnen. Nur ihr Umriss war zu erkennen, das Massiv selbst stockdunkel. Eine Bergstation hoch oben auf einem Gipfel leuchtete mit einem roten und einem weißen Licht in die Nacht. Ein Tier schrie laut, vielleicht ein Igel? Igel konnten unglaublich schreien. Oder Füchse. Wenn die nachts durch die Straßen Berlins streiften, dann weckten sie manchmal ganze Wohnanlagen durch ihre Schreie. Aber vielleicht klangen solche Tiere nur in einer Großstadt so dramatisch, weil man dort keine echten Naturgeräusche erwartete; auf Autohupen oder die Sirenen der Krankenwagen war das großstädtische Ohr längst eingestellt.
    Schreie. Krankenwagen. Plötzlich fiel ihr wieder die alte Geschichte aus Zimmer 22 ein, der Ehemann, der den Liebhaber seiner Frau erschossen hatte. Von wegen, hier kam es zu keinen Verbrechen. In ihrer Fantasie startete nun eine Aktenzeichen XY-Sendung, moderiert von Rudi Cerne: »Im Urlaub verdrängt man ja gerne das Risiko. Ihre Leichtsinnigkeit wurde einer deutschen Touristin in Südtirol zum Verhängnis – sie ließ eine Leiter zu ihrem Hotelzimmer stehen. Im Bikini lag sie auf dem Bett, als der …« Sophie machte die Nachttischlampe an und sprang aus dem Bett. Schluss, aus, die Leiter musste weg. Sie zog sich schnell das Sommerkleid wieder an, schlüpfte in ihre Turnschuhe, schob geistesgegenwärtig den Zimmerschlüssel in die Tasche ihres Kleides und kletterte über die Brüstung. Die Nachttischlampe aus ihrem Hotelzimmer spendete genug Licht, um Balkonkante und Leiter gut zu erkennen. Außerhalb des Zimmers merkte man schnell, wie dunkel hier die Nacht werden konnte. Im Wald, der das Hotel umgab, hockte und brütete die Finsternis. Nirgends eine Straßenlaterne, nirgendwo schnitt ein Autoscheinwerfer durch die Nacht und kein Nachbarhaus weit und breit. Nur tief unten im Tal sah man Lichter, aber die zwinkerten von weit her und erhellten hier oben nichts.
    Die Leiter stand gut verankert, Sophie merkte es gleich, als sie auf die Sprossen trat. Sie wollte sich gerade nach unten begeben, da erschien über ihr ein helles Gesicht. Die langen schwarzen Haare wurden von der Dunkelheit förmlich verschluckt, ganz anders als das weiße Nachthemd.
    »Hey, Sophie«, rief Laura, die sich weit aus dem Fenster lehnte, mit gedämpfter Stimme. Um diese Zeit setzte sie sich wohl nicht gern auf die Dachkante. Zu dunkel, zu gefährlich. »Komm mal zu mir.«
    Sophie änderte ihre Richtung und kletterte nach oben.
    »Ich wollte gerade runter und die Leiter irgendwo ins Gras legen. Mit so einem Teil vor dem Balkon schlafe ich nicht so gut. Mir fallen dann lauter Horrorgeschichten ein.«
    Laura kicherte.
    »Studnitz hat wohl in der Aufregung vergessen, die Leiter abzuholen. Sonst macht er das immer nach dem Abendessen. Aber die Sache mit Zoe hat ihn doch mitgenommen.«
    »Woher wusste er davon?«, fragte Sophie irritiert. Hatten Katalin und Julia mit ihm darüber gesprochen?
    »Von mir. Die Wände sind dünn hier. Man kriegt eine Menge mit. Armes Ding. Geht es ihr besser?«
    Sophie schaute zum benachbarten Fenster hinüber. Alles dunkel und still. Vermutlich

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