Sommer mit Nebenwirkungen
aber sie hat es ganz besonders erwischt.«
Erstaunt drehte sich Sophie wieder der Kommode zu. Zoe hatte alles Wichtige hier, fast wie in einer gynäkologischen Praxis. Da lag sogar ein Blutdruckmessgerät. Getrieben war wohl der richtige Ausdruck. Dieser Kinderwunsch machte sie richtiggehend manisch.
Sophie betrachtete die schlafende Zoe, sie trug eine cremefarbene Bluse und schmale Jeans. Zum ersten Mal seit Langem fühlte sich Sophie verpflichtet zu helfen. Ja, sie war Psychologin. Eine ausgebildete Händchenhalterin, auch wenn sie diesen Weg bislang nie beschritten hatte.
»Vielleicht wäre es gut, wenn ich mal mit ihr rede, wenn sie aufwacht. Nicht nur als Freundin, auch als Psychologin. Damit wir wissen, wie stabil sie ist.«
Katalin nickte. »Das wäre gut. Hier ist alles o . k. Dann werden Julia und ich jetzt gehen. Wir duschen, ziehen uns um und gehen hinunter ins Restaurant. Danach lösen wir dich ab und übernehmen die Nachtschicht. Ist das ein guter Plan?«
»Bringt vorher noch etwas zu essen und zu trinken hoch. Falls Zoe aufwacht.«
Katalin nickte, während Julia im Bad verschwand und alle Handtücher zusammenraffte. »Die werfe ich gleich mal in die Kammer mit der dreckigen Wäsche«, sagte sie. Beide strichen Zoe noch einmal sanft über den Kopf, dann waren sie weg.
Sophie sammelte die leeren Tablettenverpackungen und Schachteln vom Boden auf, stopfte alles in eine herumliegende Plastiktüte und knotete sie zu. Die würde sie später in den Müllcontainer des Hotels stecken. Musste ja keiner mitkriegen, dass hier im Zimmer 26 ein Selbstmordversuch stattgefunden hatte. Dann setzte sie sich auf den Stuhl neben Zoe, auf dem eben noch Katalin gesessen hatte. Sie hörte ihren regelmäßigen Atem.
Die Sonne sank langsam tiefer, die Schatten wurden länger. Es versprach, ein farbenreicher Sonnenuntergang zu werden.
Katalin klopfte einmal kurz und reichte ein Tablett mit Essen und Getränken herein. Eine warme Suppe in einer Thermoskanne und eine Kanne mit sehr süßem Tee. Dazu Brote und ein Stück Apfelstrudel. Sophie stellte alles auf dem Tisch ab. Durch das offene Fenster hörte sie, dass es auf die Abendessenszeit zuging. Und Laura? Die öffnete erwartungsgemäß das Fenster nebenan und kraxelte hinaus auf das Vordach. Sophie blieb neben Zoe am Bett sitzen und wartete.
Es war fünf vor sieben, wo blieb von Studnitz mit der Leiter? Gleich müsste der Gong erklingen. Tatsächlich, mit einem dumpfen Geräusch wurde die Holzleiter gegen das Dach gelehnt, und die übliche Routine des Abends nahm ihren Lauf. Was für ein komisches Paar, dieser von Studnitz und Laura. Zwei Verrückte, so ähnlich wie Miss Sophie und ihr Butler beim geisterhaften Silvester-Dinner. »Na, heute Abend wieder allein?«, hörte Sophie den Hotelchef sagen. »Wenn Sie wüssten, was sich nebenan abgespielt hat. Also …«, legte Laura los. »Frau Ronstedt, konzentrieren Sie sich bitte auf die Sprossen der Leiter, ja … ganz vorsichtig … sehr gut … unten können wir reden …« Die Stimme entfernte sich langsam. Nun ertönte wieder mehrmals hintereinander der tiefe, satte Klang des Gongs. Wie vertraut ihr diese Welt inzwischen war, dachte Sophie. Neugierig trat sie ans Fenster, um zu beobachten, ob Laura Ronstedt wieder wie ein junges Reh Richtung Speisesaal hüpfte und dabei »Der Gong, der Gong« rief. Nein, heute stand sie mit von Studnitz am Fuße der Leiter beisammen, ins Gespräch vertieft. Plötzlich schaute er hoch zu Zimmer 26, Sophie erschrak, denn es kam unerwartet. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, dann zog Sophie sich vom Fenster zurück.
Zoe war wach geworden. Als Sophie zum Bett zurückkehrte, lag sie mit offenen Augen da. Nichts war darin zu lesen – weder Freude noch Trauer. Sie sahen sonderbar leblos aus.
»Hey«, sagte sie sanft und setzte sich auf den Stuhl.
Zoe versuchte ein Lächeln. Sophie hielt ihr ein gefülltes Wasserglas hin.
»Hier, du musst viel trinken.« Zoe setzte sich mit Sophies Hilfe mühsam auf. Das Glas war schnell leer, offenbar hatte sie Durst.
»Julia und Katalin sind unten beim Essen, aber Katalin hat noch schnell eine Thermoskanne mit süßem Tee vorbeigebracht. Möchtest du eine Tasse?«
Zoe nickte.
»Ich auch«, sagte Sophie, stand auf und füllte zwei Becher mit dampfendem Tee.
Die beiden hielten sich an den wärmenden Tassen fest und schwiegen.
»Warum?«, fragte Sophie nach einer Weile. Manchmal waren die einfachen Fragen die besten.
Mit einer
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