Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
wiedergutzumachen.
Den Rest seines Lebens.
Plötzlich kam ihm die Vorstellung, ein Leben mit JaneGordon aufzubauen, gar nicht mehr absurd vor. All seine dummen Vorurteile fielen von ihm ab. Der Gedanke, die unsichtbaren Grenzen zu überschreiten, die seine Eltern errichtet hatten, kam ihm unglaublich befreiend vor. Kein Wunder, dass Charles so überzeugt davon gewesen war, dass alle Welt seine Romanze mit Jane gutheißen würde.
Charles.
George war noch nicht bereit, über seinen Bruder nachzudenken. Jane füllte sein Herz zum Überfluss. Für den Augenblick gehört alles, was er zu geben hatte, ihr.
Auch wenn sie kaum miteinander sprachen, während die Nacht verstrich, kamen sie sich näher, als sie es mit bloßen Worten vermocht hätten.
Als sie endlich einschliefen – gesättigt, berauscht von Liebe, in einem Zustand benommener Erschöpfung einander in den Armen liegend –, konnte George der Wahrheit endlich ins Auge sehen: Sein Herz war rettungslos verloren. Die Zukunft, die er sich für sich ausgemalt hatte, war wie ausgelöscht, ein kaum noch erinnerter Traum.
Später am Morgen erwachte er in einem leeren Zimmer. Der Bademantel hing am Haken an der Tür.
George setzte sich auf und blinzelte ins Sonnenlicht, das sich durch die Jalousie ins Zimmer stahl. Er öffnete das Fenster, um einen Blick auf den Hof zu werfen. Eine Gruppe Singvögel begrüßte ihn. Der Sturm war vorüber und hatte eine frisch gewaschene Welt hinterlassen. Er konnte sogar den Frühling riechen – feuchtes Gras und knospende Blumen. Über Nacht hatte sich der Winter verzogen.
Eine glitzernde Decke aus Tau lag über dem Campusgelände. Nur wenige Menschen waren um diese frühe Stunde unterwegs. Das Cross-Country-Team joggte in weißen Shorts und T-Shirts mit V-Ausschnitt vorbei. Normalerweise versetzte es George immer einen kleinen Stich, ihre gut trainierten Körper zu sehen, die sie mit einem der körperlichen Ertüchtigunginnewohnenden Selbstbewusstsein bewegten.
Doch nicht heute. Nicht wo er die Erinnerungen der letzten Nacht noch so frisch im Gedächtnis hatte. Wie damals in dem ersten Sommer nach der Polio-Erkrankung hatte Jane es auch jetzt wieder geschafft, dass er über seine Beschränkungen hinaussah und die Dinge feierte, die er konnte.
Nach der letzten Nacht fühlte er sich, als könne er alles schaffen.
„Hey, Bellamy, ziehst du da eine Show ab oder was?“, rief jemand und riss George damit aus seinen Gedanken.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er splitterfasernackt vor dem offenen Fenster seinen Erinnerungen nachgehangen hatte.
„Ja, so bin ich“, rief er seinem Freund Jeffords nach, der gerade auf dem Weg zum Speisesaal war. „Ein echter Showman.“ Er fragte sich, wie es sein konnte, dass die Welt sich über Nacht verändert hatte und es niemandem außer ihm aufzufallen schien.
Er drehte sich um und betrachtete das Muster, welches die Sonnenstrahlen auf seine Bettdecke malten. Laken und Zudecke waren nahezu ein einziges Knäuel. Einfach nur das Bett zu sehen brachte ihm jede Berührung, jeden Kuss, jedes intime Detail ihrer gemeinsamen Nacht zurück. Er konnte immer noch nicht fassen, wie nah sie sich gewesen waren.
Auf Hochzeiten sprachen die Menschen davon, dass aus zweien einer wird. In Georges Ohren hatte das immer nach heißer Luft geklungen. Jeder Mensch war eine separate Person, gefangen in seinem oder ihrem Körper.
Doch letzte Nacht war er eines Besseren belehrt worden. Er hatte gelernt, dass es möglich war, sich aus seinen Fesseln zu befreien und einen geheimnisvollen Graben zu überqueren, um miteinander zu verschmelzen. Es war nicht nur Sex. Da war etwas viel Mächtigeres am Werk gewesen, etwas, von dem George bis letzte Nacht nicht sicher gewesen war, ob er daran glaubte: Liebe.
Endlich verstand er die Schreiber und Künstler, die im Laufe der Jahrhunderte ihre Werke als Monumente für das einfache menschliche Gefühl der Liebe erschaffen hatten. Männer hatten Kriege angezettelt, Weltmeere überquert, Berge erklommen – alles um der Liebe willen. Epische Gedichte, mächtige Skulpturen und sogar ganze Paläste waren in ihrem Namen erschaffen worden.
Endlich verstand George Bellamy, warum.
Pfeifend schnappte er sich sein Handtuch und den Bademantel, um über den Flur zu den Duschen zu gehen. Er hielt kurz inne und vergrub seine Nase in dem Mantel, in der Hoffnung, noch einen Hauch ihres Duftes zu erhaschen. Doch er hatte kein Glück. Der Bademantel roch einfach wie … sein
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