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Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Titel: Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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Menschen zu stören. Mein eigenes – nun, das ist durch diese vermaledeite Diagnose zur Genüge gestört worden. Doch das gibt mir nicht das Recht, einfach so in das Leben nichts ahnender Leute hineinzuplatzen.“
    Claire beobachtete die beiden genau, und ihr fiel die starke Ähnlichkeit zwischen ihnen auf. In Ross sah sie den jungen Mann, der George vielleicht einmal gewesen war. Und in George sah sie den alten Mann, zu dem Ross eines Tages werden könnte.
    Manchmal fragte sie sich, wem sie wohl ähnlich sah. Doch sie versuchte, nicht allzu viel Zeit auf nicht zu beantwortende Fragen zu verschwenden. Sie hatte kein Teil ihrer Großeltern je getroffen. Sie wusste von genau vier Fotos ihrer Mutter, aber sie besaß keines davon. Sogar jetzt noch war es zu gefährlich, irgendeine Verbindung zu ihrer Vergangenheit mit sich herumzutragen. Die Fotos – ein Polaroid und drei Schnappschüsse – wurden von Mel verwahrt, aber Claire musste nur die Augen schließen, um sie vor sich zu sehen. Doch wenn sie in den Spiegel blickte, wusste sie nicht, ob sie ihr Gesicht in dem ihrer Mutter sah oder ob es jemals eine Zeit gegeben hatte, in der ihreMutter sie angeschaut und etwas Vertrautes gesehen hatte.
    Ein leichtes Zittern durchlief Georges Hand, als er das schmale, ledergebundene Notizbüchlein hervorholte, in dem sich seine Liste befand. „Als ich das erste Mal meine Diagnose und Prognose hörte, habe ich das Telefon in die Hand genommen, viele Male. Es ist eine so einfache Sache, den Hörer aufzunehmen und einen Anruf zu tätigen. Aber in der Zeit, in der ich den Hörer in der Hand hielt und auf die Nummer schaute, die ich von Charles herausgefunden hatte, konnte ich den Verlauf eines ganzen Lebens sehen. Ich sage einfach, wie es ist – ich hatte nicht den Mut. Das ist zu wichtig für ein schlichtes Telefonat. Ich wollte nicht Gefahr laufen, meine einzige Chance aufs Spiel zu setzen. Ich wollte es richtig machen, also musste ich den bestmöglichen Weg finden, die Sache anzugehen.“
    „Nun, ich würde vorschlagen, dass Sie ihn anrufen, bevor Sie aus einem Flugzeug springen“, schlug Claire vor und handelte sich damit einen bösen Seitenblick von Ross ein. „Ich meine ja nur.“
    George ließ sein lautes Lachen ertönen, das auf unwiderstehliche Art anschwoll und tief aus seinem Bauch zu kommen schien. „Aus einem Flugzeug zu springen ist vermutlich einfacher als die Wiedervereinigung mit meinem Bruder.“ Sein Lachen verebbte, und er wurde ganz ruhig. „Es ist an der Zeit.“
    Claire lief ein Schauer über den Rücken. Sie sah nicht zu Ross, wollte nicht, dass er bemerkte, wie besorgt sie war. Viele Patienten hatten eine gute Vorstellung vom Fortschreiten ihrer Krankheit, und ihre Dringlichkeit in manchen Angelegenheiten stammte oft von einem Ort tieferen Wissens, mit dem kein ärztlicher Test mithalten konnte.
    „Was heißt das, sie kommt nicht mit uns zum Abendessen?“, fragte George seinen Enkel, als sie sich an dem Abend auf den Weg zum Hauptgebäude machten. „Habe ich was Falsches gesagt?“
    „Nein, natürlich nicht.“
    „Hast du was Falsches gesagt?“
    Vielleicht, dachte Ross. Er war den ganzen Tag Claire gegenüber beinahe schon unhöflich gewesen. Er fühlte sich hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit für das Mitgefühl, das sie seinem Großvater entgegenbrachte, und Verbitterung, weil sie darauf bestand, dass George selber entscheiden solle, ob er sich weiter behandeln lassen wolle oder nicht.
    „Sie wollte uns ein wenig Zeit allein schenken“, sagte Ross, weil das die einfachere Erklärung war. „Das hat sie zumindest gesagt.“
    „Fahr rechts ran“, bat George ihn. „Fahr gleich hier rechts ran.“
    Ross lenkte den Golfwagen an den Wegesrand. „Wir fahren nicht zurück, um sie zu holen.“
    Sein Großvater winkte ungeduldig ab und stieg aus dem Wägelchen. Neben dem Weg blühte ein bunter Blumengarten, in dem inmitten von Lilien ein kleiner Erinnerungsstein stand. Stuart Gordon und die Daten 1926-1944 waren auf einem Stein eingraviert.
    Jetzt, wo er ein wenig mehr von der Familiengeschichte der Bellamys wusste, fing Ross an, die emotionale Bindung seines Großvaters an diesen Ort zu verstehen. Auf dem Stein stand außerdem: Niemals werden wir die Liebe vergessen, die du uns geschenkt hast. Gott allein weiß, wie sehr wir dich vermissen.
    Die gleichen Worte konnten über Ross’ Vater gesagt werden und über jeden Soldaten, der seinem Land gedient hatte. George ging in die Knie und

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