Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
Stimme war die von Granddad.
„Dieser junge Mann ist Ross Bellamy“, sagte Jane. „Er ist … Georges Enkel.“ Ihre Stimme veränderte sich, als sie Granddads Namen aussprach.
Charles ließ nichts von der Angst oder Verletzlichkeit erkennen, die seine Frau gezeigt hatte. Er strahlte eine freundliche Neutralität aus. „Wie geht es Ihnen?“ Er bot Ross seine Hand an.
„George möchte dich gerne treffen“, ergänzte Jane.
„Wann?“, fragte er geradeheraus.
„Wann immer es Ihnen passt“, sagte Ross. „Aber wenn möglich recht bald.“
Sofort breitete sich ein Lächeln auf Charles’ Gesicht aus. „Nun gut. Ein Besuch von meinem Bruder George. Konnte er nicht selber herkommen?“
„Er wollte Sie nicht stören oder in Verlegenheit bringen.“ Ross war sich Janes Schweigen und der vorsichtig neutralen Haltung, die er in Charles spürte, nur zu bewusst. Das war genau der Grund, warum der Plan seines Großvaters für diesen Sommer eine schlechte Idee war. Diese Menschen hatten die Macht, George wehzutun. „Er wollte Ihnen die Gelegenheit geben, darüber nachzudenken.“
Jane und Charles tauschten einen kurzen Blick. Jane schaute als Erste weg und strich sich mit den Händen die Schürze glatt. Auch wenn Granddad es als Streit zwischen zwei Brüdern bezeichnet hatte, schien Jane am aufgewühltesten zu sein.
Charles hatte entweder ein gutes Pokerface oder es machte ihm tatsächlich nichts aus. „Wie kommt es auf einmal dazu?“, fragte er. „Warum jetzt? Und warum ist er hierhergekommen?“
George hatte Ross angewiesen, nicht zu betteln. „Aber ach was“, hatte er mit trockenem Humor gesagt. „Erzähl ihnen ruhig, dass ich sterbe. Es hat keinen Zweck, die Wahrheit zu verbergen, und ich bin nicht zu stolz, um nicht auf die Mitleidskarte zu setzen.“
„Meinem Großvater geht es nicht gut.“ Ross spürte zu seinem großen Entsetzen, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete und ihm Tränen in die Augen stiegen. Von dem Moment an, in dem er das erste Mal vom Zustand seines Großvaters erfahren hatte, hatte Ross nicht einmal geweint. Und jetzt, nach ein paar kurzen Worten ein paar Fremden gegenüber, stand er kurz davor, die Fassung zu verlieren.
„Tut mir leid.“ Er starrte zu Boden und ballte die Hände fest zu Fäusten. Er zwang sich, die beiden wieder anzusehen. Reiß dich zusammen! Reiß dich verdammt noch mal zusammen.
Jane setzte an, etwas zu sagen, doch Charles fing ihren Blick auf und schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Er sah Granddad so ähnlich, dass Ross hätte schreien können. Es war nicht fair, dass dieser jüngere Bruder so vital und gesund war, während George unter einer tödlichen Krankheit litt.
Ross räusperte sich. „Die Prognose ist nicht gut“, sprach er schnell weiter. „Das ist der Grund für den Zeitpunkt seiner … Bitte.“
Die große orange Katze kam herein und strich um Ross’ Knöchel.
„Ich hole Ihnen eben etwas zu trinken. Ich habe selbst gemachte Limonade im Kühlschrank.“ Jane schien unbedingt etwas tun zu müssen.
„Danke. Das klingt gut.“ Ross hoffte, er würde sie bei sich behalten. Ihm war ganz schlecht vor unterdrückter Trauer. Sie war in ihm angeschwollen wie ein stiller, unsichtbarer Sturm,und aus irgendeinem Grund hatte sie sich diesen Moment ausgesucht, um die Oberfläche zu durchbrechen.
„Das tut uns sehr leid“, sagte Charles. „Es muss eine traurige Zeit für Sie sein. Also ist George … Er ist demnach nicht im Krankenhaus?“
Ross schüttelte den Kopf. „Im Moment geht es ihm ganz gut. Aber … das ist nur vorübergehend. Er hat die Behandlung abgebrochen, doch ich versuche ihn zu überreden, sie wieder aufzunehmen. Aus diesem Grund hoffe ich, dass Sie einverstanden sind, sich so bald wie möglich mit ihm zu treffen.“
Jane drückte ihre flache Hand gegen die Brust, wie jemand, der einen Herzanfall hat. Ross sah, wie sie um Fassung rang. „Ich hole eben die Getränke“, murmelte sie und eilte in die Küche.
„Wenn ich fragen darf“, erkundigte sich Charles. „Was hat George Ihnen von mir erzählt?“
„Ehrlich gesagt, Sir, hat er Sie mir gegenüber erst vor Kurzem das erste Mal erwähnt. Die meisten Familienmitglieder wussten nicht, dass er einen Bruder hat.“ Ross drückte seine Fingerspitzen gegeneinander. „Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, warum er so entschlossen ist, Sie zu treffen. Aber es gibt nichts, was ich nicht für meinen Großvater tun würde. Ich stehe ihm vermutlich näher als
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