Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
Jane fest, während sie sich ihren Weg durch die sich begrüßenden Menschen bahnte. Er sah wundervoll aus. Oh, sie hatten soviel zu bereden, sie …
Mr Bellamy kam als Nächster aus dem Bus. Sein leerer Hemdärmel war mit einer Sicherheitsnadel hochgesteckt. Er drehte sich um und sprach mit jemandem hinter sich. Ein großer, kräftiger Arbeiter tauchte auf. Er hielt George in den Armen.
Jane blieb stehen. Der Inhalt ihres Magens drohte, ihr in die Kehle zu steigen. Warum wurde George aus dem Bus getragen?
Sie wusste es. Sie wollte es nicht verstehen, doch sie tat es. Sie stand wie erstarrt da, während ein Mitarbeiter des Camps einen Klappstuhl brachte und ihn aufbaute. Nein, es war kein Klappstuhl, sondern … ein Rollstuhl.
Jane hatte noch nie einen aus der Nähe gesehen. Sie schaute fasziniert zu, wie der Arbeiter sich vorbeugte und George in den Stuhl gleiten ließ.
George sah nicht wundervoll aus. Dünn und blass, starrte er stur geradeaus; nicht das geringste Anzeichen eines Lächelns auf dem Gesicht. Sein Vater kniete sich nieder, um die Fußrasten auszuklappen und Georges Füße daraufzustellen. Georges Miene war völlig erstarrt, doch selbst aus der Entfernung konnte Jane den gehetzten Ausdruck in seinen Augen sehen.
Ein kleiner, aber extrem beschämender und verängstigter Teil von ihr wollte weglaufen. Sie wusste einfach nicht, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte.
Es war zu spät, sich zu verstecken, also ging sie weiter vor und näherte sich der Familie Bellamy. „Willkommen zurück“, rief sie und wurde dafür mit einem erfreuten Grinsen von Charles belohnt. Sie fing auch Georges Blick auf, sah aber keinerlei Freude in seinen sturmumtosten Augen.
„Ich wusste nicht, dass …“
„Sag es ruhig!“, höhnte George. „Du wusstest nicht, dass ich ein Krüppel bin. Ich bin ein Krüppel.“
„Ich wollte sagen, dass ich gar nicht wusste, dass ihr kommt, bis Pa es mir gestern erzählt hat. Ich bin froh, dass du nicht anPolio gestorben bist!“, sagte Jane frei heraus.
„Tja, da wären wir dann zwei.“
Und in dem Moment hatte sie eine Eingebung, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte. Nicht, als wenn alles normal wäre und es keine Probleme gäbe. Das wäre ein Fehler.
Nach Stuarts Tod hatten einige Leute Dinge gesagt wie: „Er ist jetzt beim Herrn“, und „Er ist im Dienste einer höheren Sache gestorben“, aber diese wohlgemeinten Worte hatten Jane nie getröstet. Manche Menschen hatten einfach so getan, als wäre mit ihrer Mutter alles in Ordnung. Sie benahmen sich so, als wäre es vollkommen normal, dass eine Frau sich zwei ganze Tage nicht von der Stelle rührte oder stundenlang ins Nichts schaute. Sie taten so, als wäre es normal, in ein besonderes Krankenhaus zu gehen und dann ihrem Ehemann und ihrer Tochter zu sagen, dass sie nicht länger mit ihnen zusammenwohnen könne.
Und irgendwie schmerzte dieses Tun, als ob nichts wäre mehr, als wenn sie sich der Wahrheit gestellt hätten.
Jane brauchte jemanden, der den Schmerz und die Verwirrung verstand, die sie jeden Tag empfand. Sie wollte jemanden, der ihr sagte, wie schlimm alles war. Vielleicht würde sie dann zugeben müssen, dass kein Ende der Trauer in Sicht war. Aber vielleicht konnte sie dann auch anfangen zu glauben, dass es sich trotzdem lohnte, weiterzuleben.
Sie hatte nicht vor, George gegenüber so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Was passiert war, war fürchterlich. Da konnte sie ihm gegenüber wenigstens ehrlich sein.
„Willkommen zurück im Camp Kioga!“, sagte sie zu den Bellamy-Jungs. „Wir haben den Winter über einiges verändert. Ich kann es kaum erwarten, es euch zu zeigen. Kommt, gehen wir.“
Charles war sofort an ihrer Seite. Sonst bewegte sich keiner. Jane hielt an. „George, kommst du auch?“
Wut loderte in seinen Augen, als würde sie ihn veralbern. „Führ nur meinen Bruder herum! Ich muss überall hingeschobenwerden, wo ich hinwill, falls du das noch nicht bemerkt hast. Ich gehe einfach in unsere Hütte.“
Einen Moment lang lag eine herausfordernde Stille in der Luft. Jane sah durch seine Wut hindurch. Eines, was sie in der Zeit nach Stuarts Tod gelernt hatte, war, dass Menschen wütend wurden, um ihre Traurigkeit zu verbergen. Und sie sehnten sich immer nach jemandem, der ihnen die Maske vom Gesicht riss.
„Komm schon!“, sagte sie. „In der Hütte gibt es doch nichts zu tun außer zu lesen und Radio zu hören, während die Erwachsenen sich schwindelig
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