Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
schützend um ihren Wurf Kätzchen gelegt hatte.
Die Gesichter der Jungen strahlten.
„Können wir sie streicheln?“, fragte Charles.
„Noch nicht. Sie sind noch zu klein. Salem ist allerdings ganz zahm. Wenn es so weit ist, lässt sie euch ihre Babys bestimmt anfassen.“
Die drei kehrten jeden Tag zu dem Stall zurück. Charles wurde es nach einer Zeit meist langweilig, und er kletterte hinauf in den Heuboden oder spielte auf dem Traktor. George jedoch zeigte eine unglaubliche Geduld mit den Kätzchen. Er sprach leise mit ihnen und freundete sich mit Salem an. Schon nach wenigen Tagen fingen die Kätzchen an, ihr Nest zu verlassen und die Welt um sich herum zu entdecken.
Georges Eltern hatten ihm eine Kamera geschenkt, eine Kodak Brownie, und er machte Fotos von allem und jedem. „Sie haben bereits alle eine eigene Persönlichkeit“, merkte er eines Tages an. „Die hier ist ziemlich keck – die Schwarze. Unddie daneben findet immer etwas, womit sie spielen kann. Und die, die aussieht wie Salem, ist total neugierig. Ich nenne sie Doctor. Ich habe ihr heute etwas zum Spielen mitgebracht.“ Er holte eine Schnur heraus, an deren Ende ein Knopf festgebunden war, und zog sie über den Boden.
Schnell wurden die Kätzchen darauf aufmerksam. Dem Beispiel der orangefarbenen Anführerin folgend kamen sie nach und nach alle hervor, um das neue, unwiderstehliche Spielzeug anzuschauen. Erst schlug eine vorsichtig mit der Tatze danach und zog sich ganz schnell wieder zurück, um zu sehen, was passieren würde. Dann gewannen sie immer mehr Selbstvertrauen und fingen an, den Knopf zu jagen und sich kräftig, aber spielerisch darum zu balgen. George holte den Knopf näher und näher an seine Füße, dann auf seine Knie, dann in seinen Schoß. Irgendwann kletterten die Kätzchen an seinen Beinen hoch und setzten sich in seinen Schoß. Bald konnte er sie ohne Probleme streicheln und mit ihnen kuscheln.
„Man braucht nur ein wenig Geduld.“ Er ließ ein seltenes, liebenswertes Lachen hören, als eines der Kätzchen mit seinen Hemdknöpfen spielte.
„Sie sind toll, oder?“, sagte Jane. Sie liebte es, zuzusehen, wie die Katzenbabys auf ihm herumkrabbelten. „Komm, ich mache ein Foto.“
„Nein.“ Georges Stimme klang schneidend und erschreckte einige der Kätzchen.
„Okay, dann nicht.“ Sie drängte ihn nicht; vermutlich wollte er kein Foto von sich im Rollstuhl haben.
„Was geschieht mit ihnen?“
„Pa lässt mich eine behalten, und ich werde ihn fragen, ob ich eine mit zu meiner Mom nach New Haven bringen kann.“
„Deine Mutter ist in New Haven?“
„Ja, sie lebt da jetzt.“
„Für immer?“
Jane nickte und schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter.„Seit mein Bruder getötet worden ist, mag sie nicht mehr hier leben.“
George wurde ganz still. „Weil sie ihn zu sehr vermisst?“
„Wir vermissen ihn alle zu sehr. Hier auf der Farm und im Camp Kioga zu sein machte sie traurig. Sie konnte die alltäglichen Arbeiten nicht mehr erledigen.“ Jane hatte keine Ahnung, wie sie es schaffte, die nächsten Worte auszusprechen. „Auf eine gewisse Art ist es besser, dass sie bei meiner Tante bleibt. Weißt du, wenn sie wieder einen ihrer Anfälle wegen Stuart bekommt, habe ich … habe ich ein wenig Angst vor ihr.“
Jane stellte überrascht fest, dass es möglich war, mit George in dem schummrigen Stall zu reden, wo es ausreichend Schatten gab, in denen man sich verstecken konnte. Auf eine gewisse Art fühlte sie sich von ihm abgeschirmt, wie im Beichtstuhl in der Kirche. Dieses Gefühl der Ungestörtheit machte es einfacher, aufrichtig zu sein.
„Das tut mir leid“, sagte George.
Sie hatte diese Floskel im vergangenen Jahr so oft gehört, dass sie schreien wollte. Jedem tat es leid. Es tat ihnen leid, dass Stuart auf dem Schiff gewesen war, das von einer japanischen Bombe getroffen wurde. Leid, dass er ins ewige Himmelreich gebombt worden war. Leid, dass nicht einmal genug von ihm übrig geblieben war, um es nach Hause zu schicken. Leid, dass ihre zerbrochene Mutter nicht wieder zusammengefügt werden konnte.
Jedem tat es leid, doch niemand konnte es wieder richten.
Als könnte George ihre Gedanken lesen, fuhr er fort: „Ich wette, du hasst diesen Satz! Ich wette, du hasst es, Leute sagen zu hören, wie leid es ihnen tut.“
Sie schlurfte mit ihren nackten Füßen durch das Stroh am Boden und nickte. Woher wusste er das?
„Ich höre das auch oft. Vielen Leuten tut es leid, dass ich krank
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