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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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angefangen und dann bin ich aufgewacht.
    Mir ist so furchtbar kalt gewesen. Ich bin in den Schlafsack gekrochen, habe aber nicht mehr einschlafen können, weil mir dann gleich wieder so heiß war, mir ist schlecht gewesen und mein Kopf und mein Hals haben wehgetan. Aufstehen habe ich fast nicht können, so schwach bin ich gewesen. Ich habe gewusst, ich muss hohes Fieber haben. Ich habe immer an den Traum denken müssen, meine Mutter und der große Mann im schwarzen Mantel
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von hinten, der sie würgt. Ich habe gespürt, dass es nicht nur ein Traum gewesen ist, sondern dass ich mich an was erinnert hab.
    Und ich habe gewusst, ich muss sofort zum Angermair.

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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Wie ich zum Angermair gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr. Später haben sie mir gesagt, dass mich ein Taxi gebracht hat. Ich bin vor ihrer Wohnungstür gestanden, ganz heiß vom Fieber, und ich habe immer wieder gesagt: Jemand hat sie erwürgt, jemand hat sie erwürgt.
    Die Frau vom Angermair hat das Bett im ehemaligen Kinderzimmer überzogen, und im Bad habe ich mich ausziehen und waschen müssen, weil ich so nach Alkohol und Erbrochenem gestunken habe. Sie hat mir einen alten Pyjama von ihrem Sohn gegeben. Weil ich über vierzig Grad Fieber gehabt habe, haben sie einen Arzt angerufen, der hat dann eine Lungenentzündung festgestellt und Medikamente dagelassen. Die ganze Zeit habe ich gefaselt, dass sie erwürgt worden ist.
    Der Angermair hat daheim angerufen und Bescheid gesagt, wo ich bin, damit sie sich keine Sorgen machen. Die Mutter ist so im Stress gewesen, dass sie nicht einmal gefragt hat, wer der Anrufer ist und wieso ich bei ihm bin. Sie hat sich nur schnell die Nummer aufgeschrieben.
    Am nächsten Tag habe ich dem Angermair von
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meiner Erinnerung erzählt. Er hat mir ernst zugehört und Fragen gestellt wie zum Beispiel: Wie hat der Mann ausgeschaut? Hat er etwas gesagt? Was ist danach passiert? Wie hat der Mantel genau ausgeschaut?
    Aber ich habe nicht viel mehr sagen können, als dass ich von hinten einen großen Mann mit einem schwarzen Mantel gesehen habe, der seine Hände um den Hals meiner Mutter gelegt hat. Der Mantel ist sehr lang gewesen, schwarz und hat zwei goldene Knöpfe oben auf der Schulter und auch hinten am unteren Schlitz gehabt.
    Der Angermair hat mir die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: Alexander, klammer dich nicht zu fest an das, es kann auch nur ein böser Traum gewesen sein. Aber ich war mir da schon so sicher, dass es mehr als das gewesen ist.
    Gegen Abend ist auf einmal die Mutter aufgetaucht und wollte mich unbedingt mitnehmen. Ich habe an ihrem Gesichtsausdruck gemerkt, dass sie sauer ist. Der Angermair wollte mich zuerst gar nicht mitfahren lassen, weil ich noch so schlecht beieinander war, aber die Mutter hat gesagt: Im Auto ist es warm und da kann er schlafen.
    Sie wollte sich gar nicht mit dem Angermair unterhalten, aber der hat halt einfach geredet, während ich mich angezogen habe. Er hat ihr erzählt, dass er damals der Beamte von der Kripo gewesen
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ist, der mich gefunden hat, dass ich ihn schon einmal besucht habe, dass ich schon ab und zu in der Wohnung meiner leiblichen Mutter gewesen bin, dass ich sie suche.
    Er ist sogar mit der Tür ins Haus gefallen: Der Alexander hat sich an was erinnert, hat er gesagt. Die Mutter hat ihn angeschaut und gefragt: An was? Wie ein Stöhnen hat das geklungen. Zum Schluss hat sie zum Angermair gesagt: Hören Sie doch auf, dem Buben Flausen in den Kopf zu setzen! Die Frau hat sich davongemacht und aus, fertig!
    Das ist dann die längste Autofahrt in meinem Leben gewesen. Ich bin auf dem Beifahrersitz gesessen und habe mich ganz schwach und fiebrig gefühlt. Nach dem Einsteigen hat sie nur zornig gesagt: Was hast du mit diesen Stadtleuten zu schaffen? Man belästigt keine Fremden, hörst du! Dann hat sie kein Wort mehr geredet und auch nicht das Radio aufgedreht, da ist so eine Stille zwischen uns gewesen, richtig unangenehm war mir das. Ich habe die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut, weil ich ihr Gesicht nicht sehen wollte, sie hat so verbissen dreingeschaut.
    Und beim Aussteigen hat sie gesagt: Sie hat dich allein zurückgelassen, Alexander, und so einen Menschen suchst du? Ich habe gar nichts gesagt, ich habe geschaut, dass ich ins Bett komme, sonst wäre ich sicher umgekippt.

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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Wegen der Lungenentzündung bin ich eine

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