Sommer wie Winter
Woche lang im Bett gelegen und habe nicht arbeiten können. Es sind abwechselnd die Anna und die Manu in den Stall gegangen und der Vater hat einen furchtbaren Grant gehabt, weil ich ausgefallen bin. Die Mutter hat mir den Tee und das Essen hingestellt und dabei kein Wort geredet.
Ich bin so unruhig gewesen, immer habe ich dran denken müssen, wie der Mann die Hände um den Hals meiner Mutter legt. Ich habe schlecht geschlafen und der Albtraum von früher ist wiedergekommen. Manchmal war’s die Hexe, manchmal der große Mann mit dem schwarzen Mantel, der meine Mutter erwürgt.
Und auf einmal ist mir eingefallen, dass ich so einen schwarzen Mantel mit goldenen Knöpfen schon mal gesehen habe.
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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. B. und Andreas Winter
Mein Papa ist cool. Er ist immer lustig mit mir gewesen. Er hat mir viel geschenkt. In den Osterferien sind wir nach Ägypten geflogen. Nur er und ich. Dort habe ich die Pyramiden gesehen. Ich bin das erste Mal geflogen. In meiner Klasse bin ich der Einzige, der schon mal geflogen ist. Wie wir im Flugzeug gesessen sind, hat er mir viel erzählt. Was er früher in Wien erlebt hat.
Er hat als Kind Kohlen geschleppt. Für die Nachbarn. Damit er ein paar Groschen verdient. Seine Mutter und er sind ganz arm gewesen. Sein Vater ist im Krieg gestorben.
Einmal hat er ein paar Kohlen von einem Nachbarn gestohlen. Der Mann ist draufgekommen. Mein Papa hat sich ausziehen müssen. Nur die Unterhose nicht. Der Mann hat ihn mit den Kohlen eingerieben, ganz fest. Dass die Haut gebrannt hat und dass er schwarz gewesen ist. Dann hat er ihn heimgeschickt. Aber mein Papa ist durch den Hof gegangen. Da hat die Frau von dem Mann die Bettwäsche aufgehängt. Er hat sich eingewickelt in die weißen Leintücher. Alles ist schwarz gewesen! Die Frau hat alles noch mal waschen müssen. Ich habe so lachen müssen!
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Lass dir nie was gefallen, hat mein Papa zu mir gesagt.
Später hat er als Hoteldiener in einem großen Hotel gearbeitet. Er ist immer mit einer Uniform rumgelaufen. Er hat Gepäck geschleppt. Und den Lift bedient. Mit dem Lift auf- und abfahren, das hat ihm gefallen. Einmal ist er steckengeblieben, den ganzen Tag lang. Aber er ist nicht allein drin gewesen, sondern mit einem Zimmermädchen. Der Chef hat dann rumgeschrien.
Später hat er sich mit einem Freund selbständig gemacht. Das ist immer sein großer Traum gewesen. Eine eigene Firma haben. Sie haben einen Obst- und Gemüseladen eröffnet. Mein Papa ist mit seinem Mofa zu den Bauern gefahren. Hat die Sachen abgeholt und ins Geschäft gebracht. Die sind ganz schwarz vom Auspuff gewesen.
Dann hat er eine Bar aufgemacht, in einem Keller. Viele amerikanische Soldaten sind gekommen. Einmal hat ein Schwarzer mit einer Frau auf dem Tisch getanzt. Der Tisch ist auf einmal auseinandergebrochen. Genau in dem Moment, wie der Mann von der Frau reingekommen ist und auf den Schwarzen geschossen hat. Er hat nur die Whiskeyflasche getroffen. Nicht den Mann, weil der ist auf den Boden gekugelt. Der Whiskey ist ausgeronnen.
Ich hätte gern früher gelebt! Früher ist alles spannender und lustiger gewesen! Mir ist meistens fad.
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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
Die Eltern haben mir verboten, dass ich noch mal in die Wohnung meiner Mutter gehe und den Angermair besuche. Aber ich habe mich nicht dran gehalten, ich habe einfach wieder nach Innsbruck fahren müssen und mit dem Angermair reden. Und ich wollte unbedingt noch mal in die Wohnung gehen, ich habe gedacht, wenn ich mich an mehr erinnern kann, dann nur dort. Die Manu hat mir versprochen, für mich in den Stall zu gehen. Das ist am 16. Dezember gewesen, und danach ist alles so anders gewesen. Alles ist irgendwie – zusammengebrochen.
Ich bin sofort zum Angermair gegangen und er hat auf mich gewartet, weil ich ihn vom Bahnhof aus angerufen habe. Ich habe ihm vom Berger erzählt, dass der einen schwarzen Mantel mit goldenen Knöpfen getragen hat, wie ich ihn das erste Mal gesehen hab. Ich habe ihm gesagt, der Fall muss neu aufgerollt werden, der Berger muss verhaftet werden, und die Leiche hat er sicher irgendwo in der Nähe der Werkstatt vergraben, man muss alles absuchen! Ich bin so aufgeregt gewesen und der Angermair ganz nachdenklich.
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Er hat gesagt, dass er damals auch den Berger verdächtigt hat, dass er mit Paulinas Verschwinden etwas zu tun hat, weil er sie manchmal belästigt hat und von ihr immer wieder einen Korb bekommen
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