Sommer wie Winter
hat. Aber er hat für die Nacht ein Alibi gehabt, er ist mit seiner Frau zusammen gewesen, das hat sie bestätigt. Er muss verhaftet werden, unbedingt, habe ich laut gesagt, fast geschrien habe ich, und der Angermair wollte mich beruhigen, er hat gesagt, er wird sich darum kümmern, dass der Fall neu aufgerollt wird, weil mit meiner Erinnerung ja jetzt alles anders aussieht. Ich soll mir aber nicht zu viel Hoffnung machen, viele Chancen haben wir da nicht und das Ganze wird nicht so leicht sein.
Dann hat er mich abgelenkt und gesagt, ob ich mit der Frau Kofler reden will, sie kann mir bestimmt Einzelheiten über meine Mutter erzählen. Er hat Kontakt mit ihr aufgenommen und sie würde sich freuen, mich zu sehen, er kann mich sofort hinbringen, wenn ich Lust habe. Ich habe Lust gehabt.
Ich bin dann der Frau Kofler in ihrer Küche gegenübergesessen. Die Küche ist sehr groß und modern eingerichtet gewesen und die Frau hat elegant ausgeschaut. Ich habe mich unwohl gefühlt, obwohl sie sich echt gefreut hat, dass ich sie besuche.
Einmal ist ihr Sohn reingekommen, der hat Stefan geheißen, und sie hat mich gefragt, ob ich mich an ihn erinnere, aber ich habe mich nicht erinnert.
[145]
Sie hat gesagt, dass wir fast gleich alt sind und viel miteinander gespielt haben. Der Stefan hat mir nicht mal die Hand gegeben, sondern mir nur leicht zugenickt, als wäre er so ein adliger Graf. Er hat sich was aus dem Kühlschrank genommen und ist wieder gegangen, er hat nichts gesagt.
Die Frau Kofler hat Paulina das Angebot gemacht, auf mich aufzupassen, weil sie für ihren Stefan jemanden haben wollte, der mit ihm spielt, einen Spielgefährten, so hat sie das genannt. Der Stefan hat im September sein Studium angefangen, er studiert Jura, hat sie ganz stolz gesagt und mich gefragt, was ich beruflich mach. Ich bin mir so blöd vorgekommen, wie ich gesagt habe, dass ich daheim auf dem Hof arbeite.
Dann hat sie von Paulina erzählt, aber viel hat sie auch nicht gewusst. Meine Mutter hat mich in der Früh abgeliefert und am Nachmittag abgeholt und hat dabei nicht viel geredet. Paulina ist irgendwie eigenartig gewesen, hat sie gesagt, so zurückgezogen, sie hat sich mit anderen Leuten schwer getan. Ihre Umgangsformen sind teilweise derb und ungeschliffen gewesen, ungeübt, wahrscheinlich deswegen, weil sie in Süditalien als Kellnerin in einer miesen Spelunke gearbeitet hat und sich oft wehren hat müssen. Sie hat irgendwie naiv und abgebrüht gleichzeitig gewirkt. Sie hat niemanden gehabt, auch keine Freunde, nur mich, und auf mich ist sie ganz fixiert gewesen, und sie hat sich in Innsbruck nicht
[146]
wohl gefühlt, es ist ihr zu kalt gewesen. Von ihrem Liebhaber hat sie nur einmal kurz erzählt. Sie sind nur ein Jahr zusammen gewesen, aber oft haben sie sich auch nicht gesehen, weil er ein Deutscher war, der nur zwei oder drei Mal im Monat in Innsbruck zu tun gehabt hat. Wie sie schwanger geworden ist, hat er sie sitzen lassen, er hat ihr aber alle paar Wochen persönlich Geld vorbeigebracht, weil er wollte, dass es ihr und dem Kind gut geht.
Zum Schluss hat die Frau Kofler gesagt: Alexander, ich habe viel über deine Mutter nachgedacht, nachher, wie sie weg war. Weißt du, sie hat es echt nicht leicht gehabt, weil sie die Eltern früh verloren hat und sich niemand um sie gekümmert hat. Sie ist wirklich intelligent und begabt gewesen, sie hat eine großartige Stimme gehabt, aber nie hat sie jemand gefördert oder unterstützt. Unter anderen Umständen wäre sie ein glücklicher Mensch und vielleicht sogar eine bekannte Sängerin geworden.
Ich habe mich gefreut, dass sie so was Nettes über meine Mutter sagt, und habe mich bedankt. Dann bin ich gegangen.
[147]
Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
Ich bin von der Frau Kofler weg und zu Fuß zum Fürstenweg gegangen, ich wollte unbedingt noch in die Wohnung und mehr Erinnerungen haben. Ja, ich habe gedacht, es kommen wieder welche, eigentlich habe ich es mir so gewünscht, dass wieder welche kommen. Vielleicht erinnere ich mich an das Gesicht vom Berger, habe ich gedacht.
In der Wohnung ist es so kalt gewesen und auch eher dunkel, weil die Dachfenster voller Schnee gewesen sind. Gott sei Dank habe ich die Taschenlampe im Rucksack gehabt. Ich habe mich in den Schaukelstuhl gesetzt und die Augen zugemacht und versucht mich zu erinnern. Es ist aber nichts gekommen.
Weil mir so kalt gewesen ist, bin ich im Raum auf und ab gegangen und auf einmal habe ich mir
Weitere Kostenlose Bücher