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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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wahnsinnig schön gefunden. Sie hat richtig viele Bücher gelesen und ist kurz vor der Matura gestanden, sie hat mir von den Büchern erzählt, die sie für die Matura lesen muss, von Goethe, von Schiller, von Lessing. Gescheit ist sie mir vorgekommen und so anders als die Mädchen im Dorf.
    Sie hat sich für mich interessiert, obwohl ich Komplexe ihr gegenüber gehabt habe. In den Stall ist sie mit mir gegangen und wollte mir melken helfen. Sie ist das erste Mädchen gewesen, das mich auf den Mund geküsst hat und das mit mir schlafen
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wollte. Dass ich in der Familie ein Pflegekind bin, hat sie besonders interessiert, sie hat mich jeden Tag nach meinen richtigen Eltern ausgefragt. Bis ich mir dann eine Geschichte von einem Schiffsunglück ausgedacht habe. Meine Eltern sind Archäologen in Ägypten gewesen und im Nil ertrunken. Sie hat das echt geschluckt.
    Nach einer Woche ist sie abgereist, wie das Gäste so machen. Sie hat mir einmal geschrieben und ich habe ihr zurückgeschrieben. Einmal ist sie noch gekommen, aber da hat sie mir nicht mehr so gut gefallen.

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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. R. und Monika Winter
    Wie es mir dann gegangen ist?
    Eigentlich, das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber eigentlich ist es mir nicht so schlecht gegangen. Ich habe endlich Gewissheit gehabt, dass der Toni der Vater ist vom Alexander. Im Grunde habe ich’s vorher einfach nicht wahrhaben wollen und doch immer wieder geahnt. Er hat’s mir dann am selben Abend gesagt, dass er eine kurze Affäre gehabt hat mit der jungen Frau damals in Innsbruck, wie er als Versicherungsvertreter gearbeitet hat. Er hat nicht viel erzählt, nur dass er sie verlassen hat, nachdem der Schwiegervater gestorben ist und er wieder heimgekommen ist. Da ist sie schon schwanger gewesen und er hat ihr ab und zu genug Geld vorbeigebracht, weil er nicht wollte, dass es dem Kind schlecht geht. Und wie er dann in der Zeitung den Artikel gelesen hat, im Mai 73, dass die Frau einfach in der Nacht abgehaut ist, hat ihn der Gedanke an das Kind nicht losgelassen. Deswegen hat er mir eingeredet, dass er einen Pflegesohn haben will.
    Ich habe mich ruhig gefühlt, ich bin erleichtert gewesen, dass es ans Tageslicht gekommen ist. Und ich habe gedacht, dass alle so empfinden, dass alle
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froh und erleichtert sind. Der Alexander, weil er seinen richtigen Vater kennt, und der Toni, weil er nichts mehr verstecken muss.
    Es wäre mir auch gleich gewesen, wenn es das ganze Dorf erfahren hätte. Es ist mir wurscht gewesen zu dem Zeitpunkt! Der Toni hat halt einmal Pech gehabt, aus, fertig!
    Die ersten Jahre unserer Ehe, wie mein Vater noch gelebt hat, sind hart gewesen, und da hat sich halt ein Weibsbild in der Stadt an ihn rangeschmissen und ihm ein Kind angehängt. Er wäre ja nicht der Erste, dem so was passiert. Und dass er dann seinen Sohn zu sich holt, nachdem sich dieses – dieses Luder absetzt, ist ja nicht nur verständlich, sondern auch nobel, nicht wahr? Dass er mir nie die Wahrheit gesagt hat, na ja, er wollte unsere Ehe nicht aufs Spiel setzen. Oder er hat sich halt nicht getraut und wollte im Dorf nicht als Ehebrecher dastehen, er wollte ja immer unbedingt dazugehören.
    So einfach ist das für mich gewesen. Ich bin richtig glücklich dabei gewesen. Ich habe gedacht, der Toni wird mir gegenüber ein schlechtes Gewissen haben, wird mir alles beichten und dann wieder mehr daheim sein, sich mehr bemühen um die Familie. Er ist ja die meiste Zeit im Hotel drüben gewesen, der Hof und wir sind Luft für ihn gewesen. Und den Alexander werden wir so schnell wie möglich adoptieren und aus, fertig, Schluss mit Sommer
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wie Winter, und dem Buben wird’s dann auch psychisch besser gehen.
    Nach ein paar Tagen habe ich aber gemerkt, dass der Toni und der Alexander nicht so denken. Sie sind nicht froh und erleichtert gewesen, im Gegenteil, die Anspannung ist bei den beiden noch größer gewesen.
    Es ist so richtig die Kälte ausgebrochen bei uns und wir alle haben sie gespürt. Nach ein paar Tagen habe ich gewusst, nichts wird gut, alles wird auseinanderbrechen, alles wird anders, und ein bisschen habe ich den Alexander dafür gehasst, weil er so feindselig gewesen ist und weil er einfach keine Ruhe gibt mit den alten Geschichten. Ich habe mit ihm geredet und zu ihm gesagt: Du kennst jetzt die Wahrheit, Alexander, jetzt gib deinem Vater eine Chance, zeig dich ihm gegenüber doch versöhnlicher!
    Er hat mich angeschaut und hat gesagt: Für mich ist

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