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Sommerfalle

Sommerfalle

Titel: Sommerfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debra Chapoton
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schlimmere Ängste: Was, wenn jemand hereinkam, sobald sie versuchte, sich mit einer Hand die Hose herunterzuziehen, sich über den Eimer zu hocken und danach wieder anzuziehen? Sie lauschte. Sie traute sich nicht zu rufen, fürchtete sich davor, den Eimer zu benutzen, aber auch davor, es nicht zu tun. Sie dachte an das Märchen Die Prinzessin auf der Erbse . Tja, sagte sie sich, diese Prinzessin muss jetzt jedenfalls pinkeln.
    Sie brauchte bestimmt fünf Minuten, aber danach war sie zumindest ein bisschen erleichtert. Den Eimer schob sie ans äußerste Ende des Bettes. Bald würde es hier drin wie auf einem Plumpsklo stinken. Mal ganz abgesehen von dem Erbrochenen, das auf dem Boden unter ihr verteilt liegen musste.
    Rebecca fixierte sich auf die Handschellen. Es gab immer noch zu wenig Licht, um Details zu erkennen, daher befühlte sie jeden Zentimeter mit Daumen und Zeigefinger. Da war ein kleiner Schließmechanismus, den es zu knacken galt. Sie befühlte den Metallzug am Reißverschluss ihrer Hose. Nein, das würde nicht funktionieren. Ihr Fingerring? Nein. Sie tastete den Bettpfosten und die Stäbe am Kopfende ab. Dann die Matratze. Nichts. Der Eimer? Vielleicht der Haken, an dem er gehangen hatte? Zu weit oben, um ihn zu erreichen. Aber der Eimer selbst? Der Henkel? Vielleicht.
    Sie zog den Behälter an sich und rutschte mit ihm so nah wie möglich an den Bettpfosten heran. Dann klemmte sie den Eimer zwischen ihre Knie, damit sie den Henkel mit beiden Händen untersuchen konnte. Es war ein Stück gebogenes Metall mit einem kleinen runden Endstück, das sie bestimmt abreißen könnte. Konzentriert machte sie sich an die Arbeit. Sie wollte den Eimer bloß nicht ausschütten und sich vollspritzen. Erst hatte sie blind gearbeitet, aber nun wurde ihr klar, dass sie inzwischen immer besser sehen konnte, was sie tat. Ihre Umgebung bot aber nicht mehr, als sie bereits ertastet hatte. Der Raum maß wenige Meter zu jeder Seite, und bis auf das Bett war er leer, die Wände kahl.
    Rebecca bog den Henkel in die andere Richtung und löste ihn schließlich vom Rand des Eimers. Mit einem unterdrückten Freudenschrei schob sie den Eimer zurück ans andere Ende des Bettes. Danach machte sie sich daran, das Schloss der Handschellen zu knacken.

    Vier Jahre zuvor, mit vierzehn, war Becky zwar nicht extrem über die Stränge geschlagen, hatte aber die üblichen Dinge angestellt, die auch mal mit Hausarrest bestraft wurden. Einmal hatte ihre Mutter sie und ihre Freundin Alyssa beim Einkaufszentrum abgesetzt, weil sie ins Kino gehen wollten. Doch sobald ihre Mutter außer Sicht war, waren sie zu einer anderen Freundin gegangen, deren Eltern nicht zu Hause waren. Dort tauchten noch mehr aus der Clique auf. Zwei Jungs hatten Bier mitgebracht und ließen es rumgehen. Becky trank wie alle anderen auch davon, obwohl ihr die bittere Flüssigkeit gar nicht schmeckte. Irgendwann tat sie dann nur noch so, als würde sie weitertrinken. Als das Ganze immer mehr ausuferte, fühlte sie sich zunehmend unwohl und flüsterte Alyssa zu, dass sie zum vereinbarten Treffpunkt zurückmüssten, damit ihre Mutter sie dort abholen könnte.
    »Ha, Leute, für Becky ist gleich Zapfenstreich«, lachte ihre Freundin. »Sie muss schnell zurück zur Mall, damit ihre Mami nichts merkt.«
    Die anderen kicherten, und Becky fühlte sich mit einem Mal ausgestoßen. »Quatsch, Zapfenstreich!«, protestierte sie. Sie stand auf, sah ihre Freundin an und fragte: »Aber wie willst du denn nach Hause kommen?« Dann stiefelte sie los.
    Sie hatte erwartet, dass Alyssa ihr folgen würde, aber später erfuhr sie, dass diese mit jemand anderem mitgefahren war. Jedenfalls marschierte Becky zum Einkaufszentrum zurück und zerbrach sich den Kopf über eine plausible Begründung dafür, warum ihre Freundin nicht mehr dabei war. Damit wäre sie auch durchgekommen, wenn Alyssas Mutter nicht am Abend angerufen und gefragt hätte, ob es Becky auch so schlecht ginge wie ihrer Tochter. Es brauchte nicht viel elterlichen Spürsinn, um herauszufinden, was wirklich passiert war. Dafür bekam Rebecca Hausarrest. Und sie wurde nicht nur in ihr Zimmer verbannt. Ihr Vater tauschte auch noch den Türknauf gegen den des Gästebads. An jenem Abend sperrten ihre Eltern sie tatsächlich ein.
    Damals hatte Rebecca zum ersten Mal versucht, ein Schloss zu knacken. Es dauerte nicht sehr lange, bis sie aus ihrem Schreibtisch eine Büroklammer geholt, aufgebogen und damit den Mechanismus geöffnet hatte.

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