Sommerfalle
wohl nur Gott wusste, wo sie sich im Moment befand. Dann betete ihr Herz, wofür ihre Zunge keine Worte fand.
Josh hatte sein Auto im Parkhaus erreicht und sprang hinein. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss. Nichts geschah. Absolut nichts.
Sein unter Adrenalin stehendes Herz raste vor Sorge und Erschöpfung. Er ließ die Motorhaube aufspringen und sprang wieder aus dem Wagen, starrte einen Moment den Motor an, bis er sich auf dem Parkdeck nach Hilfe umsah. Das konnte doch nicht wahr sein. Er vermutete, dass er nur eine Starthilfe brauchen würde, doch es war keine Menschenseele zu sehen. Kein einziges Auto kam oder fuhr davon. Josh knallte die Motorhaube wieder zu und schlug mit der Faust so lange auf sie ein, bis die Haut an seinen Knöcheln aufplatzte und in dem schimmernden Metall kleine Dellen zu sehen waren.
Mit beiden Händen stützte er sich auf die Motorhaube und starrte sein Spiegelbild in der Windschutzscheibe wütend an. Noch nie hatte er sich dermaßen hilflos gefühlt. So vollständig alleingelassen.
Er ließ den Kopf hängen, seine Stimme war nur ein Flüstern.
Steig wieder in den Wagen.
Er drehte sich um, wollte nachsehen, wer da gesprochen hatte. Das Parkdeck war jedoch nach wie vor menschenleer. Er hatte mit sich selbst gesprochen.
Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm auf.
Nachdem er eingestiegen war, bemerkte er, dass er zuvor in seiner Hektik, den Wagen schnell zu parken, die Automatik im Modus Drive gelassen hatte. Josh stieg aufs Bremspedal und schaltete auf den Modus Park um. Jetzt sprang der Wagen sofort an. Aber Josh konnte noch immer nicht losfahren, er sah nichts. Seine Augen waren voller Tränen. Mit gesenktem Kopf ließ er sie auf seine Beine tropfen.
»Lieber Gott, wenn du weißt, wo Becca ist, sag es mir.« Bisher hatte er immer über Leute hergezogen, die sich nur an Gott wandten, wenn sie in Not waren. Jetzt machte er selbst genau das.
Rebecca schöpfte neuen Mut. Sie vertraute jetzt darauf, dass man sie retten würde; sie musste nur warten. Also griff sie nach dem Tagebuch und las weiter. Gleich die nächste Seite konnte einfach kein Zufall sein:
»Heute bin ich Becky zwischen den verschiedenen Kursen gefolgt, als zwei Mädchen mich aufhielten und zu einem Treffen von Youth for Christ einluden. Das ist so eine christliche Jugendorganisation von Schülern, die gemeinsam singen, beten und in der Bibel lesen. Ich ließ mir von ihnen eine Einladung geben, prägte sie mir ein und steckte sie dann in ein Kuvert, das ich Becky schickte. Ich werde auf der Veranstaltung nach ihr Ausschau halten. Und ich hoffe, dass mein Vater ein guter Christ war.«
Becky sah hoch und dachte nach. Sie erinnerte sich, dass jemand aus ihrer Klasse sie zu so einem Treffen eingeladen hatte. Hatte sie dazu eine Infobroschüre bekommen? Eher nicht. Und falls doch, hatte sie sie wahrscheinlich sofort weggeworfen.
Im Netz fand Mike einiges über seinen alten Kumpel bei den Wölflingen, Edward J. Burling. Er staunte nicht schlecht, als er erfuhr, dass Eddie inzwischen so eine Art Großgrundbesitzer war. Die Polizei musste das ebenfalls herausgefunden haben, sofern man sich dort die gleiche Mühe gemacht hatte.
»Also«, sagte Officer Sylver, als er zurück auf der Wache seinen Partner traf, »dann kümmere ich mich jetzt um den nächsten Schritt. Er könnte sie auf einem seiner Anwesen oben im Norden festhalten.« Er wedelte mit ein paar ausgedruckten Seiten.
»Das ist doch ein völlig vager Verdacht.«
»Wir müssen dennoch nachsehen.«
»Wenn du nichts Besseres hast, wird kein Kollege abgestellt werden, um irgendwelche Hütten im Wald zu überprüfen. Und ohne handfeste Beweise wird Captain Cwalinski dir so einen Vorstoß kaum genehmigen, Mike«, gab Lorenz zu bedenken.
Sylver nickte. »Das ist mir klar.«
»Also?«
»Also werde ich selbst hinfahren.«
»Das ist doch Wahnsinn. Wir können Rebecca von hier aus besser helfen.«
»Ich fahre da jetzt rauf. Und was, wenn dieser Junge, Josh, ebenfalls auf dem Weg sein könnte? Wenn er das herausgefunden hat, was ich weiß?« Sylver hatte sich bereits entschieden. Er würde nur noch mal kurz zu Hause vorbeischauen, bevor er die zweihundertfünfzig Meilen weite Fahrt Richtung Norden antrat. Zu einem von mehreren Anwesen, die Burling Enterprises dort besaß, wie er soeben herausgefunden hatte. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und überschlug, dass er bei einer Geschwindigkeit von fünfundachtzig Meilen pro Stunde noch vor sechs Uhr dort
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