Sommerferien in Peking
mitmachen vielleicht nicht, aber ich möchte sehr gerne zuschauen.
Als die Gruppe mit ihren Taiji-Übungen anfängt, beginne ich, mich bald ein bisschen zu langweilen. Es sieht zwar sehr schön aus, aber eben auch nicht viel anders als bei Papa. Ich verstehe einfach nicht, warum sie alle Bewegungen so langsam machen. Ehrlich gesagt, es sieht überhaupt nicht so cool aus wie in den Kung-Fu-Filmen. Vielleicht weil sie alle so alt sind, denke ich. Aber Ping macht es genauso. Wenn sie gegen jemanden kämpfen müssten, würden sie so doch bestimmt verlieren.
Nach ein paar Minuten bitte ich Lao Ye um zehn Yuan, um auf dem Gemüsemarkt Frühstück zu kaufen. Vorher schlendere ich noch etwas durch den Park. Hier ist viel los! Zuerst schaue ich einer Gruppe zu, die eine Pekingoper einstudiert. Drei alte Herren begleiten die Opernsänger auflustigen chinesischen Instrumenten. Die Opernsänger singen ganz schön laut – in hohen Kopfstimmen. Ich kann zwar nicht verstehen, was sie singen, aber der Hauptdarsteller hat sein Gesicht mit bunter Farbe bemalt und ich erkenne ihn sofort als Sun Wukong, den König der Affen. Akrobatisch turnt er vor uns hin und her und macht dabei viele lustige Gesten. Das gefällt mir. Auch die Geschichte von Sun Wukong mag ich sehr: Wenn Sun Wukong nur ein einziges Rad am Himmel schlägt, kann er schon zehntausend Kilometer zurücklegen. Wenn ich das auch könnte, dann wäre ich in wenigen Sekunden von Deutschland nach China geflogen!
Zwei alte Herren spielen gerade ein chinesisches Schachspiel in einem achteckigen Pavillon.
Leider kann ich die Schriftzeichen auf den Spielsteinen noch nicht alle lesen und das Spiel nicht richtig verfolgen. Ich schaue kurz zu, werde aber ständig von den hübschen Singvögeln abgelenkt, die in ein paar dekorativen Käfigen auf einem Baum hängen. Einer davon hat schwarze Federn und einen knallgelben Schnabel. Er quiekt ab und zu mit einer komischen Stimme »Nǐ Hǎ o!« und sieht mich aus goldenen Augen an. Als ich »Nǐ Hǎ o« antworte, spricht er es gleich zweimal nach.
Dann entdecke ich etwas ganz anderes: Ein großer Herr hält zwei Pinsel in seinen Händen, die jeweils so groß sind wie ein Wischmopp. Damit zeichnet er mit links und rechts gleichzeitig eine Kalligrafie direkt auf den Boden – mit Wasser! Wenn das Wasser getrocknet ist, schreibt er wiederetwas Neues. Wie interessant! Normalerweise zeichnet ein Kalligraf bei dieser Kunst des Schönschreibens mit Pinsel und Tusche auf Reispapier. Ich habe nur einmal gesehen, dass ein Herr den Pinsel in seinem Mund gehalten und damit eine Kalligrafie geschrieben hat.
Dieser Kalligraf, mit je einem Pinsel in beiden Händen, fragt mich plötzlich: »Magst du die Kalligrafie, die ich schreibe?« Ich nicke.
Seine Kalligrafie sieht genauso kraftvoll aus wie er selbst. »Wie heißt du, kleines Mädchen?«, fragt er lächelnd. Ich finde ihn ganz nett, so sage ich ihm meinen chinesischen Namen. Er schreibt ihn sofort auf den Boden und fragt, ob ich selbst etwas schreiben will. Ich schüttle jedoch den Kopf: »Ich kann das nicht.« Er lacht und ermuntert mich: »Keine Angst, probiere es einfach mal.«
Na gut, er ist wirklich sehr nett. Ich nehme den großen Pinsel und versuche, meinen Namen genauso schön zu schreiben wie er. Das macht echt Spaß. Aber nach einer Weile tut mein Handgelenk weh. Den großen Pinsel immer gerade zu halten ist ziemlich anstrengend.
Ich gebe dem Herrn den Pinsel zurück und sage: »Danke, ich muss jetzt leider gehen.« Plötzlich hält der Herr aber meinen Arm fest und sagt: »Du hast noch nicht bezahlt. Du darfst nicht gehen.«
Was, er hat doch nie gesagt, dass ich dafür bezahlen muss! Ich schreie laut: »Warum muss ich etwas bezahlen? Das hast du vorher nicht gesagt!«
»Das ist egal, du musst mir noch zehn Yuan geben!«
»Lassen Sie mich los«, sage ich nun hilflos.
Unglaublich, er war vorher so nett und jetzt ist er so böse! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Der Druck seiner Hand, die mich festhält, wird heftiger. Meine Hände schwitzen und ich zittere vor Aufregung. Er ist natürlich viel stärker als ich. Die zehn Yuan brauche ich aber für unser Frühstück. Lao Ye wird bestimmt sauer auf mich sein, wenn das Geld weg ist.
Langsam bin ich den Tränen nahe.
»Lass sie los!« Ich weiß gar nicht, wann Ping gekommen ist, aber er steht jetzt vor dem bösen Kerl und zeigt drohend seine Faust. Da lacht der Kerl und spottet: »Wer bist du denn, kleiner Mann? Bist du schon
Weitere Kostenlose Bücher