Sommerferien in Peking
auch.«
Ich überlege. Dann frage ich Lao Lao: »Bringst du mir noch zwei Schriftzeichen bei?«
»Lass Mi Mi dir noch welche zeigen«, schlägt Lao Ye vor. »Das macht sie bestimmt gerne.«
Und wie gerne! Mi Mi strahlt mich stolz an.
Seit diesem Tag spielen Mi Mi und ich oft »Schule«. Sie ist immer die Chinesisch-Lehrerin und ich bin ihre Schülerin. In den anderen Fächern tauschen wir und ich bin die Lehrerin.
Am liebsten mag ich die Prüfungen bei Lao Lao: Da schreibt sie die Schriftzeichen mit ihrem Zeigefinger auf unseren Rücken und wir müssen dann erraten, was sie geschrieben hat. Das ist eine Prüfung, bei der man ganz viel kichern muss.
Es ist Samstag, noch früh am Morgen, und ich bin eben erst aufgestanden. Da höre ich von draußen Kinderstimmen. Sie sprechen laut englische Wörter nach, stelle ich überrascht fest. Lao Lao sagt, dass es ein Englischunterricht für Vorschulkinder ist.
»Aber es ist doch noch so früh«, wundere ich mich.
Tante Bin sagt lachend zu mir: »Kennst du dieses chinesische Sprichwort? ›Der frühe Vogel fängt den Wurm.‹ So versuchen wir alle, frühe Vögel zu sein.«
Da protestiert Mi Mi sofort laut: »Ich bin doch kein Vogel! Und Würmer esse ich auch nicht!«
Sie ist eben noch klein und begreift das nicht.
Ich frage Lao Ye, ob er mich morgen früher wecken kann. Lao Ye hat mir nämlich erzählt, dass er immer um 6:00 Uhr in einen Park geht und Taiji macht, um die aufgegangene Sonne zu begrüßen. So nennt er das. Er hat mir einmal gesagt, dass auch viele Kinder jeden Morgen im Park joggen oder Tischtennis spielen. Ich möchte auch mal sehen, was morgens im Park los ist.
Ping und Meister Zhao
Um 6:00 Uhr aufzustehen ist nicht leicht. Ich werde erst richtig wach, als wir an die frische Luft kommen. Auf dem Weg zum Park muss ich aufpassen, dass ich nicht mit all den vielen Fahrrädern und Menschen zusammenstoße. Einige Freunde von Lao Ye sind schon da. Sie haben alle weiße Kung-Fu-Kleidung aus Seide an und jeder trägt ein Schwert in seiner Hand.
Der Leiter der Taiji-Gruppe ist Meister Zhao. Lao Ye sagt, dass er einmal Champion bei den Nationalen Kampfkunstmeisterschaften war. Wow! Nachdem er mich ganz nett begrüßt hat, frage ich ihn: »Meister Zhao, kannst du auch durch Bambuswälder fliegen?« Das hat mein Lieblings-Kung-Fu-Star in einem Film gemacht. Meister Zhao lacht schallend und sagt: »Ich glaube, die Bambuswälder sollten wir den Pandas überlassen, meinst du nicht? Es gibt jetzt nur noch weniger als 1 000 Pandas auf der Welt.«
Ich glaube, das heißt ja! Ein Junge neben uns sagt jetzt zu mir: »Du bist doch das Mädchen, das auf den Maulbeerbaum geklettert ist. Möchtest du vielleicht Taiji mitmachen?«
Hat er mich mal gesehen? Vielleicht ist meine gelb-schwarze Kleidung zu auffallend? Chinesische Kinder ziehen heutzutage nur noch selten solch seidene Kleidung an. Mama muss deswegen oft lachen, wenn sie Filme über das moderne China sieht, in denen alle Chinesen so wie in der alten Zeit angezogen sind.
Der Junge kommt mir irgendwie auch bekannt vor.
Plötzlich stürzt sich aus dem Nichts ein schneeweißer Schäferhund in meine Arme. Er bellt laut und wedelt mit dem Schwanz. Was für eine schöne Überraschung! Ich halte ihn kichernd am Halsband und streichle seinen Kopf. »Ist das dein Hund, Spy Kid?«, frage ich. Nun ist mir der Name des Jungen auf einmal eingefallen. Es ist derselbe Junge, der auf dem Fußballplatz das Tor geschossen hat.
Er hat lustige, strahlende Augen und grinst breit. »Snow White! Setze dich!«, kommandiert er.
Wie lustig, der Hund hat genauso einen witzigen englischen Namen wie der Junge!
»Spy Kid? Was für ein Name ist das?«, fragt Meister Zhao.
Weiß er nicht, dass sein Enkelkind diesen Spitznamen hat? Ich übersetze es schnell ins Chinesische.
Die Zornesfalten auf Meister Zhaos Stirn zucken bedenklich. »Spy Kid«, wiederholt er gleich noch mal.
»Das ist Lisa, mein Enkelkind aus Deutschland«, mischt sich jetzt Lao Ye in unser Gespräch ein. So kann Meister Zhao nicht weiter nachhaken und stellt mir stattdessen »Spy Kid« vor: »Das ist mein Enkelkind Ping. Ping hat auch Ferien und kann dir – wenn du möchtest – vielleicht ein paar Sachen zeigen. Komm uns doch mal besuchen. Wir wohnen in demselben Gebäude wie dein Lao Ye.«
»Auf der 6. Etage, Wohnung Nr. 605.« Ping hebt den Arm und zeigt auf die Fenster ihrer Wohnung. Dann lädt er mich noch mal ein: »Willst du nicht doch mitmachen?«
Na ja,
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