Sommerferien in Peking
Scheiben und lässt sie dann in einem hohen Bogen durch die Luft sausen. Zielgenau – so als ob die Nudeln Augen hätten – landen sie in einem Wok mit kochender Suppe.
Die in weißen Dampf gehüllten Stände verströmen einen intensiven, typisch chinesischen Geruch. Und welch eine Qual der Wahl: gedämpfte Teigtaschen mit gehacktem Fleisch und chinesischem Lauch aus Shanghai, Pfannkuchen mit Eiern und Bohnensoße aus Tianjin, Sesampfannkuchen aus Shandong, scharfe Nudelsuppe mit schneeweißem Tofu aus Sichuan ... eine Speise köstlicher als die andere.
»Morgen, Zhao Ping«, begrüßt ein Verkäufer nun Ping. »Wie geht’s deinem Opa?«
»Gut, Onkel Li, danke sehr.« Ping antwortet höflich und dann bestellt er für mich Frühstück: »Sojamilch für vier Personen und sechs gedämpfte Teigtaschen, bitte.«
Der Verkäufer packt alles ein und macht uns noch auf ein Plakat aufmerksam, auf dem »Wir ziehen um« steht. »Wir brauchen nicht mehr lange auf der Straße zu kochen«, erklärt er uns. »Ab nächster Woche findet ihr uns in dem neuen Supermarkt vor eurem Compound. Da haben wir einen Stand gemietet. Sag bitte deinem Opa Bescheid, O.K.?«
Der Verkäufer strahlt, doch der Kunde neben uns fügt hinzu: »Der Gemüsemarkt wird bald komplett abgeschafft und dann wird wieder ein Einkaufszentrum gebaut. Immer mehr Einkaufszentren und weniger Gemüsemärkte ...«
Mein Blick fällt auf ein paar köstliche Pfannkuchen. »Weißt du, Pfannkuchen mit Eiern und Bohnensoße sind das Lieblingsfrühstück meiner Mama«, sage ich zu Ping. »Sie würde sich bestimmt freuen, wenn sie jetzt auch hier wäre.«
Ping fragt neugierig nach: »Kann sie denn in Deutschland keine solchen Pfannkuchen kaufen? Schade, hier bekommt man sie überall.«
Ich werde plötzlich etwas empfindlich und fühle mich gezwungen, das deutsche Frühstück zu verteidigen: »Na ja, das Frühstück ist eben anders in Deutschland. Es gibt Brot oder Brötchen mit Marmelade, Schokoladencreme oder Honig oder mit verschiedenen Käse- und Wurstsorten. Da gibt es auch sehr viel Auswahl.«
Ping hat große Augen bekommen. »Lecker!«, sagt er und schnalzt mit der Zunge.
»Wie alt bist du eigentlich?«, frage ich Ping neugierig.
»Ich bin im Jahr des Schweins geboren«, sagt er.
»Und das ist?«, hake ich nach.
Ping schaut mich belustigt an: »Das heißt, ich bin 12.«
»Aha.« Ich bin etwas verlegen. Wie kann man alle Tierzeichen kennen und noch dazu mit dem Geburtsjahr verbinden? Die Chinesen können das alle – sie sind halt damit aufgewachsen.
»Warum nennen deine Freunde dich eigentlich ›Spy Kid‹?«, fällt mir plötzlich ein.
Bei dieser Frage kann Ping ein Grinsen nicht verbergen: »Weil ich mal einen Diebstahl in meiner Schule aufgedeckt habe.« Ohne gefragt zu werden, erzählt er weiter: »In meiner Klasse waren ein paarmal Pausensnacks verschwunden. Die Schule konnte aber den Täter nicht finden. Ich habe mir dann überlegt, dass es in der Mittagspause passiert seinmuss. Da gehen wir nämlich alle nach Hause zum Mittagessen und lassen die Schulranzen unbeaufsichtigt im Klassenzimmer zurück. Es war auch immer nachmittags, wenn meine Freunde feststellten, dass ihre Sachen verschwunden waren. Also habe ich Papas Videokamera mitgenommen und mich in der Mittagspause unter dem Lehrerpult versteckt. Schon am nächsten Tag habe ich den Täter gesehen und ihn durch ein Loch im Lehrerpult aufgenommen. Du errätst bestimmt nicht, wer es war!!«
»Und, wer war es?«, frage ich gespannt. Ping scheint mit meiner Reaktion sehr zufrieden zu sein und antwortet grinsend: »Es war ein kleiner Affe!«
»Ein Affe?« Ich starre ihn erstaunt an.
»Ja! Aber nicht irgendein Affe, sondern ein Goldstumpfnasenaffe! Es gibt nur noch 1500 Exemplare von ihnen auf der Welt!«
Ich bin total baff.
»Wie kommt denn so ein kleiner Affe in eure Schule? Mit dem Bus ist es doch über eine Stunde bis zum Zoo.« Ich bin letzte Woche erst mit Lao Ye dahin gefahren. Es war total heiß und furchtbar eng im Bus, weil so viele Leute einstiegen. Aber Lao Ye meinte, es ist viel günstiger und umweltfreundlicher, mit dem Bus zu fahren als mit dem Taxi. Außerdem hat die Fahrkartenverkäuferin die Leute im Bus laut aufgefordert, Alte und Kinder sitzen zu lassen, und Lao Ye und ich bekamen sofort einen Platz.
Ping sagt: »Nein, der Affe kam nicht aus dem Zoo, sondern aus dem Forschungsinstitut gleich neben unserer Schule.«
»Dort, wo mein Lao Ye früher gearbeitet hat? Wie konnte
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