Sommerferien in Peking
Chinesisch?«, fragte das Mädchen wieder.
»Ja, Wang heißt König«, versuchte ich zu erklären.
»Aha.« Sie lachte mich mit leuchtenden Augen an: »Lisa König heißt du dann.«
Jetzt musste ich ebenso lächeln.
»Kommst du auch auf unsere Schule?«, fragte sie mich weiter.
»Vielleicht ...« Meine Eltern hatten mir gesagt, dass wir uns noch andere Schulen anschauen würden, falls mir diese nicht gefiel. Nach kurzem Zögern sagte ich jedoch: »Ja, ich denke schon.«
Dann sah ich, dass meine Eltern aus dem Büro herauskamen. »Ich muss jetzt gehen. Tschüss!«, sagte ich entschuldigend zu dem Mädchen.
»Tschüss«, sagte sie freundlich zurück. »Bis bald!«
»Die Kinder sind aber sehr nett. Findest du nicht?«, fragte mich Papa begeistert auf dem Weg zum Auto.
»Ja«, antwortete ich nur beiläufig und fragte mich, wie das Mädchen mit der roten Brille wohl heißen würde. Und dann dachte ich, dass so ein nettes Mädchen bestimmt schon ganz viele Freunde in der Klasse hatte, da die Kinder in der zweiten Klasse einander schon ein Jahr lang kannten. Nur mich kannte keiner. Ich war neu.
Sie hieß Emily. Als ich an meinem ersten Schultag ins Klassenzimmer kam, sah ich sie schon: Das Mädchen mit der roten Brille, das mir fröhlich winkte. Ich lächelte ihr zaghaft zu und freute mich, als Grit sagte, dass ich anEmilys Vierertischgruppe sitzen durfte. Ich bekam den Platz neben Nicole, und Emily und Sarah saßen uns gegenüber. Die drei waren offensichtlich schon gute Freundinnen.
Erst im Deutschunterricht wurde mir klar, dass ich noch Schreibschrift lernen musste. Das war ziemlich anstrengend. Ich hatte in China nicht mal gehört, dass es so etwas wie Schreibschrift gab.
»Warum müssen wir das lernen?«, jammerte ich in der Pause.
»Ach, Lisa, das schaffst du schon«, sagte Sarah.
»Chinesisch zu schreiben ist bestimmt viel schwieriger als Schreibschrift«, meinte Nicole.
»Wenn du willst«, schlug Emily vor, »bringe ich dir die Schreibschrift bei und du mir Chinesisch.«
Zum Glück hatten wir gleich danach Kunstunterricht und wir sollten mit Luftballons etwas basteln. Bevor es losging, fragte unsere Kunstlehrerin Frau Zimmermann, was im Innern des Luftballons sei.
»Nichts!«, riefen alle Kinder.
»Überlegt noch mal!«, sagte Frau Zimmermann geduldig und schob ihre Brille hoch.
»Nichts«, war immer noch die Antwort. Viele Kinder schüttelten nun die Ballons und kicherten laut.
»Wirklich nichts?«, fragte Frau Zimmermann nach einer Weile erneut.
Die Art und Weise, wie sie es sagte, gab mir den Eindruck, dass die Antwort nicht so einfach sein sollte. Ichnahm den Luftballon hoch, hielt ihn gegen das Licht und schaute noch einmal hinein. Es gab nichts in dem Ballon. Ich überlegte und plötzlich fiel mir doch eine Antwort ein.
Ich hob meine Hand. Frau Zimmermann drehte sich zu mir und sah ein bisschen überrascht aus: »Ja, Lisa?«
»Luft!« Ich sagte es schnell und laut: »Luft ist in dem Luftballon drin!« Ich merkte, wie die ganze Klasse mich anstarrte.
»Richtig! Gut gemacht, Lisa!« Frau Zimmermann nickte lobend. Ich war wirklich glücklich darüber, dass ich eine richtige Antwort gegeben hatte. Und das sogar an meinem ersten Schultag!
Der Englischunterricht war sehr leicht für mich. Englisch fing hier erst in der zweiten Klasse an und ich las damals schon jeden Abend vor dem Zubettgehen den neuen Band von »Harry Potter« im englischen Original. Das Buch war ein Umzugsgeschenk von Papa, der auch ein »big fan« von Harry Potter war. Im Unterricht war es deshalb ziemlich langweilig für mich, Körperteile auf Englisch zu lernen. Doch unsere Englischlehrerin lehrte uns dazu einen englischen Rap-Song. Das war echt lustig.
Wie Papa geschätzt hatte, war meine neue Schule wirklich nur 20 Minuten von unserem Zuhause entfernt. Jeden Morgen um sieben Uhr klingelte Max bei uns. Dann liefen wir zusammen bis zur Hauptstraße. Dort kamen noch viele andere Kinder dazu. Max lief nun mit den Jungs weiter und ich mit anderen Mädchen – hinauf bis zur Spitze des Hügels, wo unsere Schule lag.
Das war aber nur der offizielle, schnelle Schulweg. Nach der Schule rannte ich am liebsten quer über den Hügel, runter bis zu einem breiten Fußgängerweg. Auf der rechten Seite des Weges fuhr die Straßenbahn ins Stadtzentrum. Auf der linken Seite war der Silberbach, an dem ich entlanglief, bis ich eine Steinbrücke überqueren musste. Von der Brücke aus konnte man unseren Garten und das Doppelhaus schon
Weitere Kostenlose Bücher