Sommerfest
Meter weiter und die ganze Hütte wär da reingefallen.«
»Auf den Schreck brauche ich noch einen«, sagte Onkel Hermann, und sie gingen wieder hinein.
Willy Abromeit strich seiner Enkelin über den Kopf und sagte: »Musst keine Angst haben.«
»Hab ich auch gar nicht«, sagte Charlotte.
Stefan fragte sich, was Onkel Hermann mit Scheiß Bergschäden meinte. Kam der Riss in der Straße jetzt doch nicht vom Küssen?
Decker schrie, dass ihn alle am Arsch lecken könnten, und ging endlich nach Hause.
Stefan und Charlotte kriegten Fanta und stießen mit den drei Männern an.
»Mit was für einem ist die da drüben eigentlich zugange, die Rosi?«, wollte Willy Abromeit wissen.
»Charles heißt der, aber sie nennt den nur Charlie. Der macht in Gebrauchtwagen.«
Willy Abromeit nickte. »Ach deshalb.«
Stefan verstand nicht, was Willy Abromeit damit sagen wollte, fragte aber nicht nach.
»Charles heißt Charlie«, sagte Charlotte. »Hört sich doch an wie Charlotte. Ich bin jetzt auch Charlie.«
Der Masurische Hammer nickte. »Hört sich gut an.«
»Wir gehen noch auf den Hof, was spielen.«
»Ist gut.«
Charlotte, die jetzt Charlie hieß, lief schon mal Richtung Hausflur. Onkel Hermann hielt Stefan am Arm fest.
»Sei nicht enttäuscht, mein Junge, wenn sich beim nächsten Mal nicht gleich die Erde auftut.«
Die Männer lachten, und Stefan rannte Charlie hinterher.
Omma Luise nimmt einen Schluck Kaffee und sagt: »Ja, ja, die Charlotte. Wann hast du eigentlich mit der das letzte Mal gesprochen?«
»Ist schon eine Weile her.«
»Junge, Junge, schlau wirst du auch nicht mehr!«
»Was soll das heißen?«
»Das weißt du ganz genau! Hast du eigentlich eine Ahnung, was sich die letzten Jahre bei der Charlotte getan hat?«
»Gibt es da was Interessantes?«
Omma Luise sieht ihn an, als wäre sie jetzt richtig sauer auf ihn. »Das soll sie dir mal schön selber erzählen. Junge, wie du das alles versauen konntest …«
»Und was ist mit dir und dem Willy?« Stefan findet, es ist jetzt mal Zeit für einen sanften Gegenangriff.
Omma Luise zuckt mit den Schultern und führt die Tasse zum Mund, obwohl sie leer ist. »Was soll da sein? Nichts ist da. Schon ewig nicht!«
»Ja, eben. Und bei mir und Charlie auch nicht.«
»Nur weil wir zu blöd waren, müsst ihr es ja nicht auch sein.«
»Ihr wart nicht blöd. Ich nehme an, es waren einfach andere Zeiten.«
»Geh mir weg mit dem Willy. Jetzt bringt das doch auch nichts mehr.«
»Aber wiedersehen würdest du ihn schon gerne mal, oder?«
Omma Luise winkt ab. »Das bisschen Zeit, das ich noch habe, kriege ich auch ohne den rum.«
»Du hast mir eine Menge Geschichten über den Willy erzählt.«
»Ja, ja, die ganzen Geschichten«, sagt Omma Luise und puhlt ein wenig Weißes aus einem Brötchen und formt daraus eine Kugel. »Man müsste das alles mal aufschreiben. Ich hab immer gedacht, du würdest das machen.«
»Hat sich nicht ergeben.«
»Ach, stell dich nicht so an. Du bist doch noch jung.«
»Ich bin kein Schriftsteller, Omma.«
»Du hast als Kind bei uns am Küchentisch gesessen und deine eigene Zeitung gemacht.«
»Da stand aber nichts drin. Für die Artikel habe ich nur Linien gemalt, wie ich das bei Donald Duck gesehen hatte.«
»Nein, nein, du hast doch mal so Geschichten geschrieben. Und Gedichte.«
»Da war ich fünfzehn und wollte Mädchen beeindrucken.«
»Und? Hat das geklappt?«
»Manchmal.«
»Na also!«
»Ich glaube, ich habe den Zeitpunkt verpasst«, sagt Stefan. »Viele, die ich hätte fragen können, sind tot oder erinnern sich nicht mehr richtig.«
»Erinnern!«, grunzt Omma Luise. »Man kann sich auch zu viel erinnern!«
»Aber du bist doch hier die mit dem guten Gedächtnis.«
»Junge, klar weiß ich noch viel und kann viel erzählen. Aber ob das alles genauso passiert ist, weiß ich doch jetzt nicht mehr. Ich hab dir so viel erzählt, da habe ich den Überblick verloren. Und wenn ich mich mal nicht so genau erinnern konnte, habe ich eben was dazuerfunden. Das Wichtige ist doch, dass das Grundsätzliche stimmt.Die Kleinigkeiten …« Omma Luise macht eine Handbewegung, als wolle sie irgendwas verscheuchen. »Ich würde sagen«, fährt sie fort, »du schlägst dir das mit München mal aus dem Kopf, da passt du sowieso nicht hin, und dann gehst du zu der Charlotte und hörst dir mal an, was die vorhat, und dann sieht die Welt sowieso gleich ganz anders aus.«
Stefan steht auf. »Ich glaube, ich muss jetzt los. Ich habe
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