Sommerfest
heute volles Programm.« Stefan will den Tisch abräumen, aber Omma Luise hält ihn zurück.
»Lass das bloß stehen! Ich mach das gleich. Aber ich bring dich erst mal runter.«
Als sie unten in der Halle sind, kommt eine alte Frau mit einem Rollator auf sie zu. Vorne ist ein Korb angebracht, in dem eine Tüte mit Apfelsinen liegt.
» GUTEN MORGEN , FRAU BORCHARDT !«, brüllt die Frau.
Omma Luise beugt sich leicht zu Stefan. »Das ist die alte Lorkowski. Die hört fast nichts mehr. TACH , FRAU LORKOWSKI ! SCHON EINKAUFEN GEWESEN ?«
» NUR PAAR APFELSINEN . WER IST DENN DER JUNGE MANN DA ?«
» DAS IST MEIN ENKEL , DER STEFAN . DER IST SCHAUSPIELER .«
» SCHAUSPIELER ? MUSS MAN DEN KENNEN ?«
» NEE , DER IST NICHT IM FERNSEHEN . DER MACHT NUR THEATER . IN MÜNCHEN .«
Frau Lorkowski verzieht das Gesicht. » MÜNCHEN , DATT IS DOCH NIX !«
» HAB ICH IHM AUCH GESAGT . ABER DAS IST VIELLEICHT AUCH BALD VORBEI .«
» NEE , NEE , MÜNCHEN , DATT IS NIX !«
» MACHENSE MAL GUT , FRAU LORKOWSKI !«
» ICH BRING MAL MEINE APFELSINEN NACH OBEN !«
» JA , MACHENSE DAS MAL !«
Frau Lorkowski geht zum Fahrstuhl, Omma Luise und Stefan gehen nach draußen.
»Jetzt weißt du auch, wieso ich keinen Rollator will«, sagt Omma Luise.
»Na ja, wenn man ihn braucht …«
»Ach, datt sieht doch nach nix aus! Und schwerhörig macht das Ding offenbar auch!«
Stefan grinst. »Hast recht. Wenn du nicht mehr laufen kannst, leg dich ins Bett und lass dich bedienen.«
»Wenn ich nicht mehr laufen kann, spring ich hier vom Dach. Ich leg mich nicht in die Ecke. Ich hab gut gelebt, und irgendwann ist es eben vorbei.«
»Das dauert noch«, sagt Stefan und hofft, dass er recht hat, weil er sich, obwohl er alt genug ist, ein Leben ohne Omma Luise nicht vorstellen kann.
»Holst du mich morgen ab?«, fragt sie.
»Morgen?«
»Die Autobahn. Ist zwar Blödsinn, aber sehen will ich das schon!«
Sie vereinbaren, dass Stefan sich morgen Mittag meldet und Omma Luise dann abholt. Er umarmt sie und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Wahrscheinlich hat er keine Frau in seinem Leben so oft umarmt wie diese. Und das ist immer noch zu wenig.
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5 Zum Stadtpark, wo Frank Tenholt wohnt, ist es nicht weit, also geht Stefan zu Fuß und macht einen kleinen Umweg am Bergbaumuseum vorbei und dann durch die Kleingartenanlage daneben. Er denkt an die Feiern im Schrebergarten seiner Eltern, wo es hoch her- und, durch Kinderaugen betrachtet, manchmal ein bisschen hässlich zuging. Da wurde gebalzt und gebaggert, aber nicht unbedingt in Richtung der eigenen Frau, aber was soll’s, hieß es, so jung kommen wir nicht mehr zusammen. Die Schlager kamen vom Vier-Spur-Tonband, die bevorzugte Spirituose war Appelkorn, und in der winzigen Küche änderten die Reste des Kartoffelsalates langsam ihre Farbe.
Danach ging man zu Fuß nach Hause oder gönnte sich ein Taxi oder übernachtete in der Laube, und am nächstenMorgen oder Mittag kam man zum Restesaufen und zum Aufräumen wieder zusammen, und zack war auch schon wieder Montag und alle rissen sich den Arsch auf, bis es wieder hieß: Hoch die Tassen, man muss auch mal ein bisschen Spass (mit kurzem a) haben im Leben, und wann ist überhaupt endlich mal wieder Karneval?
Schließlich steht Stefan vor einer nicht eben kleinen, in Braun gehaltenen Jugendstilvilla, mit weißen Ornamenten auf den Fensterstürzen. Zu Frank Tenholt hat Stefan in den letzten Jahren nur sporadisch Kontakt gehabt. Einmal ist er mit seiner schönen Frau Karin in einer von Stefans Vorstellungen gewesen. Als sie hinterher noch bei Bier und Wein zusammensaßen, hat Karin ihm immer wieder Blicke zugeworfen, denn da wäre fast mal was gewesen, aber das war auch damals schon lange her.
Frank Tenholt öffnet die Tür in einem schwarzen Polohemd und einer hellen Sommerhose. Sie umarmen sich.
»Mensch, schön, dass du da bist!«, sagt Frank Tenholt.
Er führt Stefan durch einen Vorraum und einen kombinierten Wohn-/Essraum mit sehr hohen, stuckverzierten Decken auf eine kleine Terrasse aus polygonal verlegtem Ruhrsandstein. Auf der kleinen Rasenfläche, die sich anschließt, steht eine Schaukel. Zwei Kinder schaukeln, zwei Jungs in deutschen Nationaltrikots, die, als sie Stefan sehen, gleich aufspringen und zu ihm herübergelaufen kommen. Als sie in München gewesen sind, haben Frank Tenholt und Karin von ihren Kindern erzählt, aber Stefan kann sich nicht an ihre Namen erinnern.
Frank Tenholt bemerkt Stefans fragenden
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