Sommerfest
hätten sie sonst irgendwas Schlimmes gemacht, von wegen hemmungslos und experimentierfreudig, das ist das neue Bedürfnis nach Geborgenheit und Romantikbei den jungen Leuten, egal, wie viel Metall sie im Gesicht haben. Damit hätten wir, denkt Stefan, in den Achtzigern mal kommen sollen, da hätte es aber saftig was hinter die Löffel gegeben!
»Das ist übrigens die Hängebank«, sagt Frank Tenholt, und dann erklärt er auch noch, was das ist und was die macht, aber da hört Stefan nicht mehr zu. Das geht ihm jetzt alles ein bisschen auf die Nerven, der ganze Bergbauscheiß und überhaupt die Vergangenheit und die Klugscheißerei von Frank Tenholt, der nicht weiß, dass seine Frau ihn betrogen hat – was er andererseits aber auch nicht verdient hat, schließlich ist er kein Arschloch, der Frank, nie gewesen, nur ein bisschen eingeschränkt in seiner Wahrnehmungsfähigkeit.
»Alles in Ordnung?«, fragt Charlie und fasst Stefan dabei am Arm, der an genau der Stelle natürlich auch gleich ganz warm wird. Das sind ja körperliche Reaktionen, die er etwa seit neunzehnhundertfünfundachtzig nicht mehr an sich beobachtet hat.
»Alles okay, wieso?«
»Du siehst blass aus.«
»Das kann man doch gar nicht erkennen, ist viel zu dunkel!«
Charlie grinst. »Irgendwas muss ich doch sagen.«
»Soll das eine Anmache sein?«
»Habe ich das bei dir noch nötig?«
Holla, denkt Stefan, beziehungsweise Holla die Waldfee, wie es ja korrekt heißt, was passiert denn hier? Aber da ist Charlie schon wieder zwei Schritte voraus und redet mit Karin. Sie steigen alle gemeinsam die Treppe im Malakowturm nach oben, vermeiden es, nach unten zu schauen, und lesen die Namen der Bergleute, die da auf Schildernangebracht sind. Wahrscheinlich welche, die hier ihr Leben gelassen haben, weil, im Bergbau, da sind sie früher gerne mal gestorben, also natürlich nicht gerne, aber schon oft, weil das ja so verdammt gefährlich war und die Arbeit so hart, man kann es ja schon gar nicht mehr hören.
Dann stehen sie oben auf dem Dach, und Stefan muss zugeben, dass der Ausblick nicht schlecht ist, aber das ist er ja irgendwie überall, denn komischerweise sieht jeder Ort der Welt von oben besser aus. Hier sieht man jetzt die ganzen Bäume und die Lichter dazwischen, und dann lässt man sich von Frank Tenholt erklären, dass da hinten der Förderturm der alten Zeche Carolinenglück ist, die auch noch arbeitet, aber keine Kohle mehr fördert, sondern Wasser, denn wenn das ganze Wasser nicht aus den Schächten gepumpt würde, wäre das hier eine Eins-a-Seenlandschaft, also praktisch Bodensee, nur ohne den bescheuerten Dialekt, und über diesen Witz lacht sich Frank Tenholt einigermaßen kaputt, und zwar als Einziger. Eigentlich sollte man das ja alles wissen, denkt Stefan, aber tatsächlich hat man sich da lange gar nicht für interessiert. Sein Vater war nicht auf Zeche, Oppa Fritz hat bei der Stadt gearbeitet, die hatten doch mit Bergbau alle nix am Hut, und Stefan denkt nur, dass die Sache mit dem Wasser einen schönen Katastrophenfilm fürs Privatfernsehen abgeben würde. Eine Frau zwischen zwei Männern, und dann kommt die Flut. Gab es das nicht schon? Wahrscheinlich mehr als einmal. Die schlimmsten Sachen passieren in Deutschland immer dann, wenn eine Frau sich gerade zwischen zwei Männern entscheiden soll.
Thomas Jacobi gibt jedem noch ein Bier und fragt, ob das nicht eine tolle Aussicht sei.
Alle nicken und verteilen sich in der folgenden Stilleüber das Dach, um ihren Gedanken nachzuhängen. Stefan sieht Charlie an, die Richtung Dahlhausen blickt, bis er merkt, wie Frank Tenholt ihn mit einem leicht mitleidigen Blick fixiert.
»Ist nicht einfach, was?«, sagt Frank und trinkt.
»Einfach ist langweilig«, antwortet Stefan und trinkt auch.
»Ach, was erzähle ich«, seufzt Frank Tenholt. »Eigentlich ist es einfacher als einfach.«
»Ach ja?«
»Ihr seid beide nicht ganz richtig im Oberstübchen!«
»Bitte sag bekloppt oder so, aber nicht Oberstübchen, das ist Tenholt-Sprech. Da komme ich mir immer so vor, als müsste ich mir bald Kukident kaufen. Und überhaupt: Wenn es ein Oberstübchen gibt, was ist dann das Unterstübchen? Oberstübchen, der Verstand, Unterstübchen, das Verlangen oder was?«
»Interessant, wie du vom Thema ablenkst.«
»Man kann nicht von etwas ablenken, das es nicht gibt. Da ist kein Thema.«
»Ja, nee, ist klar.«
»Ernsthaft!«
»Ich glaube, du wirst eine interessante Nacht haben und Dinge erfahren, die
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