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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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fährst, ohne das Grab deiner Eltern besucht zu haben, wirst du dich schlecht fühlen.«
    Natürlich hat Frank recht, aber Stefan will das nicht zugeben. Er ist auch nicht zu faul, zum Grab seiner Eltern zu gehen, nur zu feige.
    Stefan gehört nicht zu den Schauspielern, die ein mieses Verhältnis zu ihrem Vater hatten. Sein Vater war Jahrgangfünfundvierzig, also musste Stefan ihn nicht fragen, ob er als Wachposten in Majdanek oder bei Massenerschießungen in der Ukraine dabei gewesen war. Herrje, nicht mal Oppa Borchardt hatte in der Hinsicht Dreck am Stecken, der ist nur ein bisschen U-Boot gefahren und kam dann in Italien in amerikanische Gefangenschaft, was, wenn man ihn so erzählen hörte, offenbar die beste Zeit seines Lebens gewesen ist, weil das Wetter prima war, er im offenen Jeep rumfahren konnte und es immer Kaugummi, Schokolade und Zigaretten satt gab, und Frauen wahrscheinlich auch. Jetzt liegt er neben seiner Tochter in der Gruft, die Omma Luise schon früh angemietet hat, und zwischen den beiden ist die Urne mit der Asche von Stefans Vater begraben. Da ist noch Platz für eine weitere Urne, also für die von Omma Luise, die immer einen auf robust macht und die nichts umhauen kann und zur Not über alles hinwegmosert, aber wenn sie am Grab ihrer Tochter steht, dann ist alles anders, und so geht es Stefan auch. Es ist ein Scheißdreck, der Tod, die blöde Sau, aber er muss dahin und sich wieder fragen, was denn schlimmer ist, die Trauer oder die Wut, und wann das mal komplett vorbei ist. Natürlich trauert er nicht ständig, und er ist auch nicht jede Sekunde des Tages wütend über den Tod seiner Eltern, aber andererseits vergeht auch kaum ein Tag, an dem er nicht an sie denkt.
    Danke, Frank Tenholt, für diese Gedanken.
    Stefan blickt hinüber zu Charlie. Er sieht sie nur im Halbprofil, aber es ist deutlich zu erkennen, dass sie ihre Unterlippe mit den Zähnen knetet. Sieht aus, als denke sie angestrengt nach. Er fragt sich, worüber. Und ob sie zu einem Ergebnis kommt. Und wie das aussieht. Und ob es mit ihm zu tun hat.

    Stefan leert die noch zur Hälfte gefüllte Bierflasche in einem Zug.
    »Hattest du nicht einen Termin mit einem Makler?«
    Klugscheißer Tenholt hat wirklich ein bemerkenswertes Talent, einem die richtigen Fragen zum falschen Zeitpunkt zu stellen, denkt Stefan, auch wenn das jetzt unfair ist, denn für die richtig richtigen Fragen, also die, die immer so ein bisschen wehtun, gibt es keinen richtigen Zeitpunkt, besser gesagt keinen falschen, denn das Schlimmste ist, wenn einem diese Fragen gar nicht gestellt werden und man der ganzen Sache aus dem Weg geht, bis sie einen hinterrücks überfällt und einem mit einem dünnen Draht die Luft wegdrückt.
    »Ich muss mich bei dem morgen noch mal melden«, sagt Stefan.
    »Klar«, sagt Frank Tenholt. »Mach das.«
    Und dann kommt Charlie herüber, fasst Stefan an der Hand und sagt: »Pass mal auf, Kollege, ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich finde, wir müssen reden.«

[Menü]
14
     
    14 Wir hätten überall hingehen können, denkt Stefan, aber wir sind natürlich hier gelandet. Weil es auf dem Weg lag und Frank Tenholt mittlerweile so hinüber war, dass es nicht ratsam gewesen wäre, länger bei ihm mitzufahren als unbedingt nötig.
    Zuerst kommen sie an Diggos kleinem Reich vorbei, in dessen Laube diese echt antike Schrankwand ein neues Zuhause gefunden hat. Die Hecke blockt nach wie vor jeden Blick ab, aber dahinter ist es still, Diggo und sein Gefolge sind in der Stadt unterwegs.
    Es folgen ein paar Grundstücke, mit denen Stefan nichts verbindet, aber dann natürlich der alte Garten seiner Eltern. Stefan versucht, einfach nur geradeaus zu gucken, doch er spürt, dass Charlie ihn ansieht, also sieht er sieauch an, und da müssen sie beide lachen. Ganz am Ende des Weges liegt die Parzelle ihrer Eltern. Charlie schiebt das auch hier schmiedeeiserne Tor auf, und sie gehen den Weg hinauf, der durch gepflegte Rabatten führt. Vor der Laube steht eine Gartenbank, und Charlie sagt, Stefan soll einen Moment warten, also setzt er sich, weil er sich wieder sehr müde fühlt. Charlie geht um die Laube herum, man hört sie dahinter oder daneben mit irgendwas hantieren, und Stefan sieht plötzlich ihre Eltern vor sich, ihren großen, etwas bulligen Vater, der seine Statur vom Masurischen Hammer geerbt hat, und ihre Mutter, die im Abromeit’schen Genpool für die blonden Locken zuständig ist. Die Zöllners und die Abromeits konnten gut

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