Sommerfest
miteinander, man besuchte sich gegenseitig auf den Parzellen, und in den Schränken der jeweiligen Familien vergilben Fotos, die sie alle auf Partys in den Siebzigern zeigen, die Männer mit Kapitänsmützen auf dem Kopf, die Frauen mit Federboas und Stefans Mutter sogar mal in einem hautengen Lurex-Anzug, was ihm immer ein bisschen peinlich war, aber seine Mutter war nun mal jung und hatte eine gute Figur und, verdorrich noch mal, es waren die Siebziger, da war das Wetter gut und das Leben leicht.
Lurex. Müsste man auch mal googeln, denkt Stefan.
Und die Fotos muss er sichern, bevor er das Haus verkauft. Das wird noch mal eine harte Nummer, sich durch das durchzuarbeiten, was von seinen Eltern übrig geblieben ist. Vieles hat er nach dem Tod seines Vaters abholen lassen, aber längst nicht alles, einige Sachen hat er in den Keller geschafft, weil er es nicht über sich brachte, sie wegzuwerfen, obwohl er sie seitdem nicht mehr angesehen hat. Irgendwo muss auch noch dieser hässlichstmögliche Korkenzieher sein.
Er hatte immer den Eindruck, dass die Feiern, die bei Abromeits stattfanden, nicht ganz so schlimm aus dem Ruder liefen wie jene, welche die Zöllners veranstalteten, aber vielleicht sind einem die eigenen Eltern im Zustand der Entfesselung immer unangenehmer als fremde, und überhaupt ist es ja ungerecht, Eltern für ihre Lebenslust zu verurteilen, weil man als Kind so spießig und engstirnig ist, dass man ihnen ihr Leben nicht zugesteht, sondern sie auf die dienende Funktion reduziert, weil man sich sonst von ihnen wohl weniger beschützt fühlt. Dienen und beschützen aber ist doch ihr Job, wie die New Yorker Polizei, to protect and to serve. Wenn alles nach Plan läuft, dann hat man später ja genug Gelegenheit, sich bei ihnen, nun ja, nicht gerade zu entschuldigen, aber sich doch irgendwie zu revanchieren, aber da hatte bei den Zöllners ja jemand was dagegen, der Krebs in der Speiseröhre seiner Mutter und die Ärzte, die die Herzoperationen seines Vaters verpfuscht haben, sodass Stefan jetzt nicht weiß, wohin mit diesem ganzen Zeug, was ihm da durch den Kopf und die Brust geht, aber bevor er darin versinken kann, kommt Charlie zurück, mit einem Schlüssel in der Hand.
»Manche Leute«, sagt sie, »legen den unter einen Stein neben der Tür oder oben auf die Zarge, aber das ist doch Quatsch!«
Drinnen sieht es noch genauso aus wie früher. Warum auch nicht, denkt Stefan, so Lauben müssen sich nicht verändern, da stellt man ein paar alte Möbel rein, und dann kümmert man sich nicht mehr darum, weil es hier nicht schick und schicker zugehen muss, denn es ist ein Provisorium, nicht das Zuhause, sondern nur eine Zuflucht, aber was heißt schon »nur«, selig sind die, die eine Zuflucht haben, am besten ohne Internet, Telefon oder Mobilfunknetz, denn ihnen wird die ewige Ruhe gehören. Auch wenn im Hintergrund die Autobahn brummt und der Nachbar Schlager in Hardrocklautstärke hört.
Charlie fragt, ob er einen Tee möchte, und Stefan nickt. Charlie schaltet den alten Herd ein und setzt Wasser auf, nimmt zwei Beutel aus einer Packung Tee, die auf dem Kühlschrank steht, und, herrje, sogar die beiden Tassen, die sie jetzt aus dem Hängeschrank darüber nimmt, kennt er von früher. Große, grob gemusterte Ungetüme, die eine Menge über das ästhetische Empfinden von Charlies Eltern verraten, Herrn und Frau Abromeit, wie Stefan sie immer noch nennen würde, wenn er ihnen über den Weg liefe, obwohl man sich ein ganzes Leben kennt, jedenfalls Stefans ganzes Leben, aber fremde Eltern duzt man nicht, da könnte man ja auch gleich die Errichtung einer Räterepublik fordern.
Stefan schläft fast im Stehen, deshalb merkt er nicht, wie die Zeit vergeht. Plötzlich steht Charlie neben ihm und reicht ihm eine Tasse Ostfriesentee, dabei hat er es gar nicht pfeifen gehört, und er hätte schwören können, dass sie einen alten Kessel mit Pfeife benutzt hat, aber das ist ja streng genommen auch egal.
Charlie setzt sich auf das Sofa, von dem Stefan weiß, dass man es ausklappen kann. Er erinnert sich an die Party zu Charlies zwanzigstem Geburtstag, als ihr damaliger Freund von einem seiner Kumpel nach Hause gebracht worden war, weil er draußen in den Salat gekotzt hatte, während Stefan ohnehin gerade solo war und niemand ihn davon abhalten konnte, Charlie in den frühen Morgenstunden beim Aufräumen zu helfen. Am Ende waren sie zu müde, noch nach Hause zu laufen, also klappte Charlie das Sofa aus und nahm
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