Sommerfest
heruntergekommen, aber da kann man was draus machen. Und genau das habe ich vor. Ich bin schon in die Wohnung obendrüber eingezogen.«
Stefan nickt. Irgendwann musste Charlie in einer Kneipe enden.
»Ich habe ein bisschen was auf der hohen Kante, den Rest leihe ich mir, aber ich will das Ganze nicht alleine machen, zumal ich das ein bisschen anders aufziehen will. Also es soll schon so eine typische alte Eckkneipe bleiben, obwohl sie ja nicht an einer Ecke liegt, aber du weißt, was ich meine. Kannst du dich an das Hinterzimmer erinnern? Natürlich kannst du das, blöde Frage. Das ist ziemlich groß, und da will ich eine kleine Bühne reinbauen und dann Lesungen und Kabarett und so was veranstalten. Und genau da kommst du ins Spiel.«
»Ich? Was soll ich da machen, vorlesen, oder was?«
»Nee, aber du sollst das organisieren. Du rufst die Leute an, die da auftreten, beziehungsweise ihre Agenturen, und dann treten die bei uns auf. Wir machen auch Seniorentanz und Jazzabende. Volles Programm. Weißt du noch, dass wir mal gedacht haben, wir übernehmen irgendwann so ein soziokulturelles Zentrum oder so? Mit Rockmusik und Theater und Lesungen und Kabarett? Das könnten wir jetzt machen, nur eine Nummer kleiner. Was hältst du davon?«
»Äh, ich weiß nicht, also …«
»Aber eigentlich willst du wissen, was mit UNS ist und ob du mich nicht nur mit Blicken ausziehen darfst. Du kannst darauf wetten, dass ich darüber mindestens so oft nachdenke wie du.«
»Wer sagt denn, dass ich oft darüber nachdenke?«
»Ich sage das. Und wenn du was anderes behauptest, lügst du, und du konntest nie gut lügen, jedenfalls nicht mir gegenüber. Es ist doch so: Wir finden sowieso niemanden, der besser zu uns passt als der jeweils andere. Deine Unentschlossenheit ist mir zwar früher schon öfter mal auf die Nerven gegangen, aber wer ist schon perfekt. Wir haben auch nur einmal richtig gevögelt, aber da war er nunmal gar nicht unentschlossen, der Zöllner, da wusste er genau, was er wollte, da saß jeder Handgriff, das muss man schon sagen, und da fragt man sich doch, warum man davor immer wieder wegläuft. Zum Haus Rabe gehört übrigens eine Wohnung, die wäre groß genug für uns beide.«
»Ich dachte, ich soll in mein altes Zuhause einziehen.«
»Das habe ich nur so gesagt.«
Stefan hebt die Augenbrauen.
»Beziehungsweise: Fürs Erste sollst du in das Haus einziehen, und dann sehen wir mal weiter.«
So, Stefan ist jetzt nicht mehr müde. In seiner Brust passiert was, das ihn an die Zeit erinnert, als er sechzehn war oder siebzehn oder achtzehn. Da hockt also Charlotte Abromeit auf diesem durchgesessenen Sofa, fährt sich mit der Hand, deren Gelenk von diesem Lederarmband umschlossen wird, durch das engelsgelockte Goldhaar, pustet in ihren Tee und bietet ihm ein Leben an, nach dem Motto: Nimm hin, Junge, aber teil es dir ein! Alles, was ich mir wünsche, denkt er, und das auf einem Tablett aus reinem Silber. Aber was weiß sie denn, was ich mir wünsche? Ich weiß es ja selber nicht.
»Manchmal«, sagt Charlie jetzt, und sie sagt es, ohne zu grinsen, »manchmal möchte ich dir links und rechts eine runterhauen. Nicht nur bildlich gesprochen. Man muss dir in den Hintern treten, bis einem der Fuß wehtut. Aber du warst für mich da, wenn ich dich brauchte. Immer. Du bist aus deinem Saufurlaub aus Dänemark zurückgekommen, als Martin mich sitzen gelassen hat. Du hast mich davon abgehalten, Georg bis nach Johannesburg hinterherzulaufen, was mich unweigerlich in den Ruin getrieben hätte, finanziell wie emotional. Und du warst bei mir, als ich die Fehlgeburt hatte. Du hast mich festgehalten, als ich vor Wut gezittert habe, und du hast die Sachen zusammengefegt, die ich an die Wand geworfen habe. Du hast immer den richtigen Ton getroffen. Na ja, fast immer. Aber wenn es mir schlecht geht, denke ich noch heute zuerst daran, dich anzurufen, und dann fällt mir ein, dass du ja nicht da bist. Also nicht nur ein paar Hundert Kilometer entfernt, sondern tatsächlich nicht da. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber wir sind nicht mehr die Jüngsten, falls dir das nicht aufgefallen ist, und deshalb finde ich, du solltest das mit der Fernsehserie vergessen, hierbleiben und mit mir diese Kneipe aufmachen. Du hast früher meistens auf mich gehört, und es hat dir nicht geschadet, eher umgekehrt, wenn du mal nicht auf mich gehört hast, bist du im Dreck gelandet, wie damals, als du dich mit dieser Schlampe verlobt
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