Sommerflammen
sich vor. »Angenommen, sie hatten Streit. Angenommen, sie kehrte aus Florence zurück und hatte einen Platten. Sie rief ihren Vater an, damit er kommt und ihn repariert. Ich kann mir Dolly schlecht mit Wagenheber und Schraubenschlüssel vorstellen. Er fuhr raus zu ihr, und sie gerieten in Streit: Weil sie das Baby einfach bei ihrer Mutter abgeladen hatte. Weil sie überhaupt ein uneheliches Kind bekommen hatte. Oder weil sie ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hatte. Der Streit eskalierte, sie stürzte, landete ungünstig und brach sich das Genick. Er wurde fast wahnsinnig vor Angst, bugsierte ihre Leiche in den Track. Dann musste er sich was überlegen und beschloss, sämtliche Beweismittel zu vernichten. Der Rest ergibt sich von selbst. Er kennt sich in der Gegend aus, er kennt die Wanderwege und ist kräftig genug, um sie in die Berge zu tragen.«
»Klingt plausibel«, sagte Gull. »Vielleicht beichtete er es seiner Frau, womit auch der Rest erklärt wäre. Doch ich habe noch eine Hypothese.«
»Schieß los.«
»Du sagst, du würdest die Familie Brakeman viel zu wenig kennen. Über Dolly hast du jedoch ein sehr hartes
Urteil gefällt. Jim ist letzten August verunglückt, und wir haben fast Juli. Ist Dolly der Typ, der ein Jahr ohne Mann bleibt?«
Rowan öffnete den Mund, schloss ihn sofort wieder und lehnte sich zurück. »Nein. Warum ist mir das nicht schon früher eingefallen? Nein, niemals würde sie es so lange ohne Mann aushalten. Zumal ich weiß, dass ihr ganzes christliches Gequatsche nur gelogen war.«
»Vielleicht lebte ihr derzeitiger Freund in Florence. Vielleicht hatte sie sich deswegen dort Arbeit gesucht oder es zumindest behauptet. Vielleicht hatten sie sich auch einfach nur in einem Motel am Highway getroffen.«
»Paare streiten sich. Und wenn es da jemanden gab, hat er sie umgebracht. Und so, wie ich Dolly kenne, hat es bestimmt jemanden gegeben. Vielleicht hat ihr Väter das rausgefunden und so. Aber wenn sie in Florence jemanden hatte, warum ist sie dann zurückgekommen? Warum nicht einfach dorthin ziehen, bei ihm wohnen? Weil er verheiratet ist!«, sagte Rowan, noch bevor Gull etwas sagen konnte. »Sie hatte ständig was mit verheirateten Männern.«
»Aber in diesem Fall ist es aber eher einer aus Missoula. Sie kehrte zurück, suchte sich Arbeit auf dem Fliegerhorst. Sie wollte in der Nähe ihres Lovers sein. Angenommen, er ist verheiratet oder musste die Beziehung aus anderen Gründen geheim halten. Sie mussten sich irgendwo treffen, wo sie keiner kennt.«
»Du kannst sehr gut schlussfolgern.«
»Das ist eine Art Spiel, bei dem man sich von einem Level zum nächsten vorarbeitet.«
Er nahm erneut ihre Hand. »Nur, dass es nicht um Spielfiguren geht, sondern um echte Menschen.«
»Es fühlt sich trotzdem besser an, es durchzuspielen. Und noch etwas: Dolly war längst nicht so clever, wie sie immer dachte. Kaum hatte sie eine Affäre, hat sie sich damit gebrüstet. Vielleicht bei Marge, aber wahrscheinlich eher Lynn gegenüber. Dolly ging in die Kirche. Vielleicht hatte sie jemandem aus ihrer Gemeinde etwas davon erzählt.«
»Dem sollte man nachgehen.«
»Ja.« Sie brauchte dringend Bewegung, musste mehr tun, als nur nachzudenken. »Warum gehen wir nicht nach draußen und schauen, was dort los ist?«
»Gute Idee.«
»Ich glaube, Quinniock mag mich. Vielleicht gibt er uns den einen oder anderen Tipp.« Beim Hinausgehen sahen sie, wie Barry zu seinem Streifenwagen ging. »Hallo, Barry! Ist Lieutenant Quinniock in der Nähe?«
»Er ist gerade mit Agent DiCicco gegangen. Kann ich dir irgendwie helfen, Ro?«
Sie warf Gull einen kurzen Blick zu. »Ich könnte ein wenig Trost gebrauchen. Damit ich heute Nacht besser schlafen kann.«
»Ich kann dir sagen, dass die Waffe, die wir gefunden haben, Leo Brakeman gehört. Der Lieutenant und DiCicco sind gerade zu ihm gefahren, um mit ihm zu reden.«
»Reden?«
»Das ist der erste Schritt. Ich muss Little Bear recht geben, wenn er sagt, dass Leo ein verdammt guter Schütze ist. Ich weiß nicht, ob dir das was hilft, aber ich glaube nicht, dass er auf dich gezielt hat.«
»Nach dieser Information geht es mir zumindest nicht schlechter.«
»Er hatte unrecht, dir die Schuld an Dollys Schicksal zu geben. Manche Leute bekommen ihr Leben einfach nicht auf die Reihe.«
»Ich wollte Lieutenant Quinniock fragen, ob man weiß, wo Dolly gearbeitet hat. Vielleicht hat sie ihren Mörder i dort kennengelernt.«
Barry zögerte und zuckte
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