Sommerflammen
geblümten Sessel im Wohnzimmer Platz. »Ich weiß, wie schwer das für Sie sein muss.«
»Wir können sie noch nicht einmal beerdigen, unserer Tochter kein christliches Begräbnis zukommen lassen.«
»Wir werden die Leiche so bald wie möglich freigeben. Bei unserem letzten Gespräch, Mrs. Brakeman, sagten Sie, Dolly habe in Florence als Köchin gearbeitet.«
»Das stimmt.« Sie rang die Hände in ihrem Schoß. Es waren von harter Arbeit gezeichnete Hände, die ein schlichter Ehering zierte. »Nach dem Vorfall auf dem Fliegerhorst wollte sie sich keinen Job in Missoula suchen. Ich glaube, sie hat sich geschämt. Sie hat sich geschämt, Leo«, sagte Irene streng, als er etwas darauf erwidern wollte. »Zumindest hätte sie sich schämen müssen.«
»Man hat sie dort nie anständig behandelt.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt.« Sie sprach ganz leise und berührte kurz seine Hand. »Du kannst ihre Worte nicht für bare Münze nehmen, nur weil sie tot ist. Du weißt genau, dass Dolly immer nur die halbe Wahrheit gesagt hat, wenn überhaupt. Man hatte ihr dort eine zweite Chance gegeben«, sagte sie zu Quinniock, während Leo verstockt schwieg. »Und Reverend Latterly und ich haben ein gutes Wort für sie eingelegt. Mit ihrem Verhalten hat sie sich selbst, aber auch uns beschämt. Sie kitte eine Stelle in Florence gefunden«, fuhr Irene fort, nachdem sie ihre bebenden Lippen kurz aufeinander-gepresst hatte. »Unsere Tochter war eine gute Köchin. Kochen hat ihr immer Spaß gemacht, schon als kleines Mädchen. Sie konnte hart arbeiten, wenn sie wollte. Die Schichten waren anstrengend, erst recht mit dem Baby. Aber die Bezahlung schien gut zu sein. Außerdem meinte sie, sie könnte es dort zu was bringen.«
»Bei unserem letzten Gespräch konnten Sie sich nicht mehr an den Namen des Restaurants erinnern«, unterbrach DiCicco Ms. Brakeman.
»Ich glaube, den hat sie nie erwähnt.« Irene presste erneut die Lippen zusammen. »Ich war wütend auf sie wegen Rowan Tripp und was sie ihr angetan hat. Ja, ich schämte mich für sie. Es ist nur schwer zu ertragen, dass Dolly und ich uns vor ihrem Tod stritten.«
»Ich muss Ihnen beiden sagen, dass Agent DiCicco und ich jedes Restaurant, jede Imbissbude und jeden Coffeeshop zwischen Missoula und Florence abgeklappert haben. Dolly hatte in keinem davon gearbeitet.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sie hatte in keinem der Restaurants gearbeitet«, sagte DiCicco knapp. »Sie hatte sich keine Arbeit gesucht, sie kam in der Nacht, in der sie starb, nicht von der Arbeit.«
»Aber sicher tat sie das«, protestierte Leo.
»In der Nacht, in der sie starb, und am Nachmittag beziehungsweise am Abend zuvor, hatte Dolly mehrere Stunden in einem Zimmer des Big Sky Motel am Highway verbracht.«
»Das ist eine Lüge.«
»Pst, Leo.« Irene verschränkte die Hände so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Mehrere Zeugen erkannten sie auf Fotos wieder«, fuhr Quinniock fort. »Es tut mir leid, aber sie hatte diese Stunden nicht allein verbracht. Sie traf sich dort mit einem Mann und das zum wiederholten Mal. Wir haben eine Zeugin, mit deren Hilfe wir ein Phantombild des Mannes anfertigen lassen.«
Irene nickte tränenüberströmt. »Ich hatte schon so etwas befürchtet. Ich habe gespürt, dass sie lügt, und mich über sie aufgeregt. Aber irgendwann war es mir egal. Soll sie doch gehen, habe ich gedacht. Soll sie gehen und machen, was sie will, ich kümmere mich schon um das Baby. Und dann, nachdem das passiert war, habe ich dieses Gefühl wieder verdrängt. Ich habe mir eingeredet, dass ich streng sei und voller Vorurteile, eine kaltherzige Mutter. Ich wusste, dass sie lügt«, sagte sie an ihren Mann gewandt. »Ich habe es ihr angesehen. Aber nachdem sie tot war, wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Ich ertrug diesen Gedanken einfach nicht.«
»Haben Sie eine Ahnung, mit wem sie zusammen war?«
»Nein, wirklich nicht, das schwöre ich Ihnen. Kann sein, dass das schon länger ging. Wie gesagt, ich habe ihr das angesehen. Und dann dieses Geflüster am Telefon. Oder sie sagte, sie müsse eine Runde mit dem Wagen drehen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Einkäufe machen. Ob ich mich so lange um Shiloh kümmern könne. Und wenn sie zurückkam, hatte sie diese Glitzern in den Augen.« Sie atmete stoßweise. »Sie hatte nie vorgehabt, sich zu ändern.« Völlig aufgelöst verbarg Irene ihr Gesicht an Leos Schulter. »Vielleicht konnte sie einfach nicht
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