Sommerglück
zu vereiteln versucht hatte, und der an Annie gerichtete, für die ganze Familie bestimmte Brief.
Danny verbrachte viele Abende und die meisten Wochenenden in Massachusetts, bei Eliza in der Banquo-Klinik. Bay fuhr Annie einige Male hin, doch obwohl sich die Freundschaft der beiden Mädchen vertiefte und Eliza gute Fortschritte machte, sahen sich Bay und Dan nur selten, weil sie in ihre Elternrolle eingebunden waren und wenig Zeit füreinander fanden.
So ist es wohl auch am besten, dachte Bay. Ihre Kinder brauchten sie, und es war wichtiger, dass sie rund um die Uhr für sie da war. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf sie, denn gemeinsam konnten sie die dunklen Monate besser bewältigen. Billy und Peggy stellten ständig Fragen über ihren Vater und sein Verhalten, und wie er versucht hatte, Eliza zu helfen. Sie hatten offenbar das Bedürfnis, ihn in einen Helden zu verwandeln, und eines Tages hörte Bay überrascht, wie Annie diese zwiespältigen Gefühle zu erklären versuchte.
»Er war nicht böse, oder?«, fragte Peggy.
»Nein – das steht ja im Brief«, sagte Billy. »Er wollte verhindern, dass Eliza etwas passiert.«
»Er hat uns geliebt«, sagte Annie. »Das steht fest. Und der Vater, den wir kannten, war kein schlechter Mensch.«
»Und was ist mit uns – dürfen wir ihn auch noch lieb haben? Obwohl er schlimme Dinge getan hat?« Peggy begann zu weinen.
»Das ist völlig in Ordnung«, warf Bay ein. »Und es ist auch in Ordnung, wenn ihr wütend auf ihn seid. Man kann beides gleichzeitig empfinden.«
»Die größte Wut habe ich, weil er nicht mehr da ist. Das NERVT . Dafür hasse ich ihn beinahe«, sagte Billy.
Bay umarmte ihre Kinder, versuchte nicht, ihnen Gefühle ein- oder auszureden. Sie erinnerte sich an ein Gedicht, das sie vor langer Zeit gelesen hatte, über »die dunkle Unergründlichkeit« eines anderen Menschen. Was hatte das zu bedeuten? Damals hatte sie nichts begriffen: Sie war jung gewesen, war behütet in den Vorstädten Connecticuts aufgewachsen, wo immer die Sonne schien. Und wenn nicht heute, dann morgen. Sie hatte in einer heilen Welt gelebt, in der Gutes mit Gutem vergolten wurde.
Sie hatte Sean McCabe geheiratet, einen Mann, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Seine Fotos, die im ganzen Haus verteilt waren, zeigten ein offenes, lächelndes, sympathisches Gesicht; er war der beliebteste Junge am Strand und in der Schule gewesen. Ein Mann, der bei seinen Freunden und Kunden einen Stein im Brett hatte, dem sie ihr Geld anvertraut hatten.
Einem Halunken.
Doch am Ende hatte er sich wieder in Sean, den rechtschaffenen Mann, zurückverwandelt, der in der Lage war, dem Wohl eines anderen Menschen, Elizas, einen höheren Stellenwert einzuräumen als seinen eigenen, selbstsüchtigen Bestrebungen. Bay hatte seinen Brief an Annie immer wieder gelesen; sie war durch seine Worte überzeugt davon, dass er bereit gewesen wäre, ins Gefängnis zu gehen, um Elizas Leben zu retten.
Manchmal verspürte sie das Bedürfnis, Danny anzurufen und mit ihm über alles zu sprechen. Aber sie kam nicht darüber hinweg, dass ihr Mann gemeinsame Sache mit den Mördern seiner Frau gemacht hatte, die auch seine Tochter umbringen wollten. Und im Augenblick brauchte Eliza seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Genauso wie Bays Kinder ihre brauchten. Dennoch blickte sie jedes Mal aus dem Fenster, wenn die Mondsichel am Himmel erschien, und fragte sich, ob Danny sie auch sah, dort, wo er sich gerade aufhielt, und ihr Herz flog ihm und Eliza zu.
Tara war immer für ihre Familie da. Seit der Fall abgeschlossen war, traf sie sich häufiger mit Joe Holmes. Doch bis Bay als Zeugin im Prozess gegen die Bolands ausgesagt hatte, musste er einstweilen darauf verzichten, Taras beste Freundin besser kennenzulernen – was Tara ständig beklagte.
»Woher soll ich wissen, was ich wirklich für ihn empfinde, wenn du ihm nicht auf den Zahn fühlen kannst?«, jammerte sie.
»Ich glaube, du bist dir auch so über deine Gefühle im Klaren«, lächelte Bay, und Tara errötete.
»Ich begreife es aber nicht. Wer hätte auch gedacht, dass ich mich mitten in der schwersten Zeit unseres Lebens in einen Mann verliebe, der gegen den Ehemann meiner besten Freundin ermittelt? Ach Bay – wirst du immer unangenehme Gefühle und Erinnerungen haben, wenn du mich mit Joe zusammen siehst?«
Bay schüttelte lächelnd den Kopf. »Nicht, wenn er dich glücklich macht«, sagte sie und umarmte Tara.
»Ich möchte, dass du auch
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