Sommerglück
jahrelang bei ihrer Großmutter gesehen hatte. Mary O’Neill hatte ihr gezeigt, wie es ging: eine hölzerne Wäscheklammer im Mund, während man mit der anderen die Bettlaken an der Leine festklemmt. Sean zog sie oft damit auf, dass die Nachbarn sich das Maul zerreißen würden, weil er in ihren Augen offenbar nicht genug Geld verdiente, wenn seine Frau die Wäsche im Freien trocknen musste.
Er wollte sogar einen Gärtner einstellen. Ungeachtet dessen, dass die Gartenarbeit zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte: Schließlich versuchte sie, Tara im Wettbewerb zu schlagen, dem einzigen, der zwischen ihnen herrschte – es ging darum, wer die größten Sonnenblumen und Rittersporne, die schönsten Rosen und Kübel mit zitronenbonbongelben Ringelblumen vorweisen konnte –, zudem bot der Garten ihr einen Grund, jeden Morgen bei Tagesanbruch aufzustehen.
Jeden Morgen ging sie in aller Herrgottsfrühe hinaus, um den Garten zu sprengen, bevor alle anderen aufwachten, und winkte Tara zu, die das Gleiche in ihrem Garten auf der anderen Seite des kleinen Flüsschens tat; dann kehrte sie ins Haus zurück, um das Frühstück zu bereiten. Während des Tages, wenn die Kinder unterwegs waren, machte sie immer wieder einen Abstecher in den Garten, um sich ihrer Pflanzen anzunehmen – stutzen, gießen, die Wurzeln düngen. Warum begriff Sean nicht, wie wichtig das für sie war? Wie konnte er annehmen, dass die Enkelin von Mary O’Neill es auch nur in Erwägung gezogen hätte, einem Fremden die Pflege ihres Gartens zu überlassen?
Bay lachte nur, küsste Sean und meinte, wer so erfolgreich sei wie er, habe es nicht nötig, sich den Kopf zu zerbrechen, was die Leute über ein bisschen Schmutz unter ihren Fingernägeln oder die paar Laken sagten, die auf der Leine flatterten. Ihre Granny stammte aus Irland, der alten Heimat, und obwohl sie die Frau eines Bankmanagers war, hatte sie als Kind die einfachen Freuden des Lebens kennen gelernt und nie vergessen. Als sie mit dem Aufhängen fertig war, zeichneten sich die hellen Wäschestücke scharf gegen den blauen Himmel ab: Signalflaggen in einem Gemälde.
»Mom!« Billy kam um die Ecke des weißen Schindelhauses gerannt. Er hatte nasse Haare, sandige Füße, blaue Augen und einen ungebändigten Blick, der ständig besorgt zu sein schien, dass er irgendetwas im Leben verpassen könnte. »Was liegt heute Abend an? Fahren wir nach dem Essen zum Minigolf, wie es Dad versprochen hat? Und wenn ja, darf Russell mitkommen?«
»Natürlich, mein Schatz.« Bay lächelte ihren elfjährigen Sohn an. Er hatte den goldfarbenen Teint seines Vaters geerbt; selbst mit einem Sunblocker wurde seine Haut honigbraun, ohne eine einzige Sommersprosse, zum Leidwesen seiner beiden Schwestern. »Wo ist Annie?«
»Kommt gleich«, erwiderte er, über seine Schulter spähend. »Ich glaube, sie möchte auch jemanden mitnehmen. Von mir aus gerne.«
»Tatsächlich?« Bay unterdrückte ein Lächeln. Ihr Sohn war in diesem Sommer in die Höhe geschossen. Er hatte seit dem letzten Jahr fünf Zentimeter zugelegt. Er würde groß, blond und attraktiv werden, genau wie sein Vater. Und seine Einstellung zu den Freundinnen seiner Schwester hatte sich radikal geändert: Er neckte und nervte sie nicht mehr wie in früheren Sommern.
In diesem Moment läutete das Telefon im Haus, ein schriller Ton. Bay wandte sich in Richtung Tür, aber Billy war schneller. »Ich geh schon ran«, rief er, was ihr abermals ein Lächeln entlockte. Erst letzte Woche hatte Tara gesagt: »Dein Sohn scheint in diesem Sommer gesellschaftlich aktiv zu werden. Du wirst dein blaues Wunder erleben, sobald er voll aufdreht. Er hat die Augen seiner Mutter und die Persönlichkeit seines Vaters … die Mädchen sollten sich vor ihm in Acht nehmen.«
Annie hatte das Haus vermutlich durch den Vordereingang betreten und war noch vor ihrem Bruder am Telefon. Sie stand in ihrem blauen Badeanzug auf der Hintertreppe – zum ersten Mal seit langer Zeit nicht in ein Handtuch oder übergroßes T-Shirt gehüllt, die glatten Haare nass und rotgold in der Sonne trocknend – und streckte ihrer Mutter den Hörer des schnurlosen Telefons entgegen.
Bay musterte ihre zwölfjährige Tochter, wusste, dass sie sich unbeholfen und mollig fand, und spürte, wie eine Welle der Liebe sie durchströmte, im gleichen Moment, als ihre Aufmerksamkeit von der Dachrinne in Anspruch genommen wurde: Von einem steifen Nordostwind zu Beginn des Frühlings aus der Halterung
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