Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
pulen. Die Frage, ob der deutsche Ost-West-Subventionstransfer nach der Wiedervereinigung nicht in Wirklichkeit ein Verelendungstransfer war, der einen selbsttragenden Aufschwung in Ostdeutschland verhindert hat, verblasste allmählich aus seinem Bewusstsein, und Kontur gewann eine andere Forschungsfrage, die ihm keine Ruhe ließ.
Konrad musste unbedingt herausfinden, ob es sich um eine Kalksandsteinwand handelte, die man folglich einfach so durchbohren und noch am selben Tage mit einigen Vorschlaghammerschlägen abreißen könnte, und ob es eine nicht tragende Wand war, die man abreißen konnte, ohne die Statik des Hauses aufs Spiel zu setzen. Konrads Hypothese wurde es, dass die Küche ohne diese unnötige, wahrscheinlich zu DDR -Zeiten eingebaute Trennwand ihren ursprünglichen Charakter als Bauernküche wiedererlangen würde, und ebenso überzeugt war er davon, dass sich die Arbeit an seiner Dissertation umso konzentrierter fortsetzen ließe, wenn erst dieses Relikt aus den ästhetischen Verirrungen der Ostzone beseitigt war. Er pulte in der Wand herum, bis er Licht am Ende des Tunnels sah und Kacheln darunter zum Vorschein kamen – der Beweis, dass sie keine tragende Funktion für das Haus hatte. Konrad räumte noch notdürftig die Küchenutensilien beiseite, legte nicht einmal mehr das Tweedsakko ab und schwang den Vorschlaghammer.
Ylva und Mette konnten es sich als freischaffende Übersetzerinnen erlauben, früh ins Wochenende zu starten, und trafen deshalb zur Mittagszeit des darauffolgenden Freitags in Maltrin ein. Sie fanden Konrad auf der Bank sitzend draußen vor dem Hauseingang. Haare und Sakko waren mit einer Staubschicht überzogen. Konrad drehte sich eine und lächelte selig.
»Willkommen die Damen! Kommt mal direkt mit, ich muss euch was zeigen. Bin echt stolz«, sagte er.
Es gibt Menschen, die nicht mit der Schreibtischarbeit anfangen können, bevor die Küche aufgeräumt ist. Konrad hatte im Laufe dieser Woche in Maltrin feststellen müssen, dass er zu den Menschen gehörte, die nicht mit der Schreibtischarbeit anfangen können, bevor die Küchenwand abgerissen ist. Das hatte sich, weil Konrad wenig Erfahrung mit Abrissarbeiten hatte, schließlich doch anderthalb Tage hingezogen. Als diese Arbeit Mittwochnachmittag erledigt war, hatte er dann feststellen müssen, dass er zu den Menschen gehört, die auch noch nicht mit der Schreibtischarbeit anfangen können, bis die abgehängte Decke im Flur beseitigt war. Wenn Konrad eine Baustelle ausmachte, und das blieb auf dem Weidenhof nicht aus, dann ließ er die ewige Baustelle seiner Dissertation gerne noch für eine Weile ruhen.
»Es ist großartig! Dieses Gefühl zu sehen, wie es vorangeht!«, jubilierte er noch einige Male im Laufe des Nachmittags, nämlich jedes Mal, wenn er den nach und nach eintreffenden Mitbewohnern die Küche und den Flur vorführte. »Man sieht mal so richtig, was man getan hat. Das ist unmittelbare Gratifikation,« schwärmte er.
Jörg freute sich durchaus mit, stellte aber auch in aller Deutlichkeit klar, dass er den Ball vorläufig noch etwas flacher halten wollte: »Erst die Arbeit, dann die Arbeit – oder was? Also ich steche jetzt lieber erst mal in See.«
Es etwas gemächlicher angehen zu lassen, mit dem Anwesen und der Umgebung »emotional anzubändeln«, dazu sollte jeder die Zeit und den Raum bekommen, den er oder sie brauchte. Es war als kollektive Notwendigkeit erkannt worden, in einem mehr als nur physischen Sinne hier in Maltrin anzukommen. Die Frage, wie jeder dieses »Ankommen« und »Einfühlen« für sich individuell am besten gestaltete, war inzwischen so oft angesprochen, in E-Mails erwähnt und diskutiert worden, dass sie inzwischen der Hauch des Geheimnisvollen umwehte.
Konrad hatte diesen Prozess ja nun schon hinter sich. Wir anderen sollten am Freitag und Samstag reichlich Gelegenheit dazu bekommen, mit unserem Anwesen sukzessive zu verwachsen , wie Olli es per E-Mail angeregt hatte. Es ging ja alles so schnell, dass ich das aus gruppenpsychologischer Sicht für ganz wichtig halte. Also erst mal: Auf dem Gelände rumlaufen, entdecken, rumschnuppern, riechen, eigene Pläne und Ideen entwickeln – ich denke, so sollten wir den Start in unserem neuen Zuhause angehen . Fabian fügte in einer ironischen Replik hinzu, dass wir unser Ich-entwickle-eine-Beziehung-zu-unserem-neuen-Haus-Wochenende aber bitte auch schon mal dazu nutzen, zwischendurch ein bisschen weiter aufzuräumen. Und Samstagabend
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