Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
anhängten.
»Na, will der kleine Oscar mal mit Onkel Moabit zum See?«
»Onkel Moabit, Onkel Moabit, rette mich!«, schrie der heißgelaufene Oscar am Abend, als ich ihn gegen seinen Willen in den Schlafanzug zwängte. Draußen war es schon dunkel, als das Kindergeschrei im Weidenhof endlich abebbte.
Ich betrat den Raum, der bis zum Scheunenumbau unser Wohnzimmer sein sollte und wo nun wegen des aufgezogenen Landregens der Esstisch aufgebaut war, voll mit verschmierten Tellern, geplünderten Kartoffelsalateimern und vertrockneten Resten von Gegrilltem. Die Tanten und Onkels hingen schon tief in den Flohmarktstühlen und verschwendeten im Gegensatz zu mir sicher keine Gedanken mehr an die veritable Baustelle, die uns hier umgab. Der Abend hatte durch den Wein, den Niels immer von seinen Eltern mitbrachte, in der Zwischenzeit eine rheinhessische Färbung angenommen. Während ich mich an den Steakresten abarbeitete, ergaben sich die anderen reihum ihrer Hochstimmung: Wie unglaublich es war, dass wir nach all dem nun wirklich in unserem endgültig eigenen Haus am See saßen. Was für aberwitzige Wochen hinter uns lagen. Dass wir, bei aller Arbeit, die bevorstand, jetzt erst mal entspannen sollten. Genießen, was wir hatten. Runterkommen. In den See springen. Immer nur an den nächsten Schritt denken. Und so weiter und so fort. Und nächstes Wochenende auf jeden Fall eine richtige Einweihungsparty machen, rechtzeitig, bevor die Herbstkälte käme.
Ylva und Mette verstanden die ganze Aufregung um ein paar Bauschutthaufen in unserem zukünftigen Garten ohnehin nicht. Bullerbü hatten die beiden Schwedinnen in ihrer Kindheit genug, um die etwas rauere Anmutung des Weidenhofs nun als eine ostdeutsche Exotik wertschätzen zu können. Auch Konrad war offenkundig lecker zufrieden mit dem Chaos, das scheinbar Erinnerungen an eine Kindheit in Afrika wachrief.
»Ich hab mir überlegt, dass ich bis zum nächsten Wochenende einfach auf dem Weidenhof bleibe«, sagte er. »Wenn hier morgen alles ein bisschen hergerichtet ist und ihr allesamt wieder nach Berlin abgehauen seid, gibt es doch keinen besseren Ort, um endlich meine Doktorarbeit zu Ende zu schreiben.«
Am Montagmorgen um acht Uhr hatte sich Konrad schon eine Schneise durch den Urwald geschlagen, war in den kühlen Maltriner See gesprungen und saß um neun Uhr erquickt und hellwach am Schreibtisch. Er hatte sich einen alten Gartentisch aus Zechlin ins Zimmer mit der schönsten Aussicht auf Garten und Scheune im ersten Stock geschleppt. Konrad war an diesem Morgen umgeben von der typischen Brandenburger Stille, die es einem leicht machte, konzentriert an die Arbeit zu gehen. Denn zur typischen Audiosignatur der Dörfer in diesem Teil des Landes gehörte es, dass die Ruhe regelmäßig durchbrochen wurde vom fernen Schrei einer Kreissäge. Aus welchem Grund auch immer hier so viel gesägt wurde – in dieser Atmosphäre meditativer Geschäftigkeit war es Konrad ein Hochgenuss, endlich wieder zu Zettel und Stift zu greifen, um nachzurechnen, welche Effekte der Subventionstransfer nach Ostdeutschland auf den wirtschaftlichen Aufbau der fünf neuen Bundesländer hatte. Am späten Vormittag hatte Graf Zahl zwei Seiten mit Formeln vollgekritzelt und ging, um sich mit einem Kaffee zu belohnen, hinunter in die Küche. Treffender formuliert betrat Konrad den Raum im Erdgeschoss, wo auf dem Fußboden neben viel anderem Ramsch auch eine Kochplatte, ein Wasserkocher, eine Drückekanne und eine Menge gestapeltes Geschirr herumstanden. Während er neben dem Wasserkocher wartete, klopfte er gedankenverloren mit dem Kaffeelöffel an die Zwischenwand, die die ehemalige Bauernküche in zwei Bereiche trennte. Das Klopfgeräusch war seltsam hohl. Konrad goss sich seinen Kaffee auf, kehrte zurück an den Schreibtisch und kritzelte weiter seine Formeln aufs Papier. Zwischendurch schaute er aus dem Fenster und musste an das hohle Geräusch der Küchenwand denken. Dann schrieb er noch ein paar Formeln, schaute hoch und musste wieder an das Geräusch denken. Konrad stand auf und suchte nach einem Schraubenzieher oder nach einem anderen spitzen Gegenstand, mit dem man eine Probebohrung in der Küchenzwischenwand vornehmen konnte. Wie an Marionettenfäden gezogen lief Konrad in die Scheune, irrte dort umher, bis er den geeigneten Gegenstand gefunden hatte, und lief dann, weil sein Marionettenspieler es so wollte, wieder in die sogenannte Küche. Er begann, mit dem Schraubenzieher in der Wand zu
Weitere Kostenlose Bücher