Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
Loseblattsammlung, die Anfang der Neunzigerjahre einmal ein ADAC -Straßenatlas war, und suchte die passenden Seiten heraus.
»Da, Güstow, ich hab es«, sagte ich. »In einer halben Stunde müssten wir da sein.« Olli startete den Bus.
Güstow war eins der typisch märkischen Straßendörfer, in deren Mitte sich die beiden Fahrbahnen voneinander entfernen und dadurch eine Art von größerer Verkehrsinsel bildeten, auf der sich das immer gleiche Ensemble aus Feldsteinkirche, kleinem Friedhof und Dorftümpel befand, der von alten Bäumen umstanden war. Der Bus kroch übers Kopfsteinpflaster. Wie in den zahllosen anderen Dörfern, die wir auf unseren Besichtigungstouren gesehen hatten, unterbrachen auch in Güstow fegende Brandenburger eigens für uns ihre Arbeit auf den Gehwegen vor ihren Häusern und schauten uns auf ihren Besen gestützt hinterher. Der Brandenburger an sich verbrachte den Großteil seines Lebens fegend, schmorte gleichsam in einem ewigen Fegefeuer, das ihn mit der Zeit selbst zu einem kratzbürstigen Menschen machte. Fremden vorbeifahrenden Fahrzeugen schaute er immer zwanghaft misstrauisch hinterher, speziell solchen mit Berliner Kennzeichen, die laut rappelten und mit Graffiti beschmiert waren wie der Schönbergersche Rumpelbus.
»Fahr mal schneller, wir sind schon auffällig genug«, befahl ich.
Olli drückte das Gaspedal durch und bog in den einzigen Weg ein, der sich ein Stück hinter der Kirche links auftat. Vom Ende der Stichstraße leuchtete schon das Rostbraun unserer Begierde.
»Reichsbrand vom Allerfeinsten«, schwärmte ich. Der Bus kam mit rutschenden Reifen zum Stehen.
»Ran an die Dinger«, kommandierte Olli, griff sich einen Hammer, der im Fußraum des Busses herumlag, und sprang ins Freie. Im Gegensatz zu der Ruine in Bürzow schien das alte Backsteingebäude von Güstow noch etwas besser beieinander zu sein, sodass wir die Steine einzeln aus dem Mauerwerk herauslösen mussten. Ich schnappte mir die Spitzhacke aus dem Bus und klopfte gemeinsam mit Olli an dem Gemäuer herum.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Die Frage, die da plötzlich aus dem Off kam, klang erschreckend nah. Und berechtigt.
An unseren Gummiarmen baumelten die Werkzeuge. Ein paar Meter neben uns hatte sich in derselben Mauer, an der wir uns zu schaffen machten, ein Fenster geöffnet, aus dem ein Mann zu uns herüberschaute.
»Ach so, äh, ja sorry, äh, wir dachten«, stammelte Olli, »wir haben die Info, dass man sich an dieser Ruine hier Steine holen darf.«
»Da haben Sie die falsche Info. Und das ist auch keine Ruine, sondern der Schuppen von unserem Haus. Machen Sie mal ganz schnell, dass Sie wegkommen!«
Ich stellte mich auf Zehenspitzen und warf einen Blick in den Innenbereich des Grundstücks. Dort stand eine bunte Plastikrutsche für Kinder und eine voll behängte Wäschespinne. Wir ließen einen Schwall von Entschuldigungsformeln los und liefen rückwärts zum Bus. Dann warf Olli mir die Schlüssel zu und sagte: »Ich kann nicht mehr, fahr du.«
Olli wollte sich gerade das nächste Beruhigungskippchen anstecken, da klingelte sein Handy. Er guckte aufs Display. »Oh no, Jörg.«
Mit einem Stöhnen, das wie der Druckausgleich einer Lkw-Hydraulikbremse klang, ließ Olli noch etwas Frust ab und drückte den grünen Knopf. Jörg war ein Mensch von beneidenswert gelassener Wesensart und redete normalerweise in gedämpfter Tonlage. Nun ertönte seine Stimme trotz des Busgerappels markig aus dem Handy heraus, sodass Jörg sogar auf der Fahrerseite deutlich zu verstehen war: dass sich die Polizei bei ihm gemeldet habe, weil ein Bürzower Anwohner Anzeige wegen illegaler Schrottentsorgung erstattet hat. Was denn da los sei und wo überhaupt die ganzen Wintergartenelemente geblieben wären.
»Können wir alles erklären, Jörg«, sagte Olli.
Aber die krächzende Stimme im Hörer ließ Olli nicht so recht zu Wort kommen.
Olli versuchte es noch mal: »Ja, okay. Aber lass uns das klären, Jörg, wenn wir zurück sind. In einer halben Stunde sind wir da, okay?«
Olli drückte Jörg weg und feuerte sein Handy auf den Sitz. Ich griff es mir und wählte Konrads Nummer.
»Hi Konrad, in Güstow hinter der Kirche hatten wir vorhin ein Erlebnis der dritten Art: Wir sind gerade dabei, die ersten Steine aus dem Gemäuer zu klopfen, da geht das Fenster auf, und das Haus ist bewohnt. Das war Hänsel und Gretel pur.«
»Was? An welchem Haus wart ihr denn da?«
»Na in Güstow, hinter der Kirche
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